Post aus China: Tigermutter adé

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Die „Kuschelpädagogik“ in Europa ist gescheitert und nur eine echte Tigermutter kann wahrlich ihre Kinder erziehen. In ihrem Buch „Die Mutter des Erfolgs“ beschreibt Amy Chua ihren strengen und fordernden Umgang mit ihren eigenen Kindern. Sind Tigermütter die Regel in China? Live Reporter Ceyhun-Yakup Özkardes besucht einen chinesischen Haushalt und bekommt viel Gebrüll zu hören - aber nicht von der Mutter.

Etwa eine Stunde von der Stadt entfernt befindet sich die Wohnung zu der wir, einige Studenten aus dem Sprachkurs an der Universität Xiamen, zum Barbecue eingeladen sind. Unsere Sprachlehrerin führt uns zur Wohnung und zeigt uns dabei, wo die Mittelschicht von Xiamen wohnt. „ Hier wohnen nicht wirklich reiche Menschen aber Bewohner von Xiamen, denen es gut geht“, erklärt sie uns. Die Gebäudekomplexe sind bis zu acht Stockwerke hoch und zwischen den Gebäuden befindet sich ein Park, in dem Kinder im Sandkasten spielen. In der Wohnung der Gastgeber schallt uns zunächst großer Lärm vieler Kinder entgegen. Freunde der Gastgeber sind ebenfalls eingeladen und die haben natürlich auch ihre Kinder mitgebracht. Die Wohnung ist nicht besonders groß, im Wohnzimmer sitzen wir zu dritt und mit den Kindern im selben Raum ist es bereits etwas eng.

Gastgeberin Geng Nü schenkt uns beim Gespräch grünen Tee ein

Beim Sprechen werden wir immer wieder unterbrochen vom Geräuschpegel der Kinder, die versuchen sich gegenseitig an Lautstärke zu überbieten. Unsere Lehrerin erklärt uns, sie halte nichts von der laschen Erziehung der heutigen Jugend. Viele Kinder bekommen alles was sie sich wünschen und dürfen auch alles tun was sie möchten. „Der Grund“, sagt sie und zieht dabei die Augenbrauen hoch, „ist die Elterngeneration, die selber nie so viele Freiheiten besaß.“ Sie seien zu einer Zeit groß geworden, in der sie mehr an Regeln gebunden waren. Mit einem strengen Gesichtsausdruck, der an den Schulunterricht erinnert, ergänzt sie, dass das Ganze nun in genau die andere Richtung schwenken würde.

Die jetzige Elterngeneration besaß selber noch nie so viele Freiheiten wie ihre Kinder

Nicht so allerdings bei Yu Ting, die Tochter der Gastgeberin. Sie fällt zwischen den Kindern nicht nur wegen ihrer Größe sofort auf -  sie überragt die meisten der anderen Kinder, sondern auch wegen ihrer großen Zahnlücke zwischen den vorderen Schneidezähnen. Daneben ist sie im Gegensatz zu den anderen Kindern einfach ruhiger. Yu Ting liebt es zu tanzen und zu singen. Bei unserem Besuch hinterlässt sie direkt Eindruck, indem sie zunächst ihre Gelenkigkeit demonstriert, aus dem Stand springt sie in einen Spagat, und uns anschließend einige ihrer Tanzeinheiten vorführt. Nach ihren Berufswunsch fragend, hat sie als „ersten Traum“ Stewardess in einem Flugzeug genannt, weil sie so in einen Einblick in eine andere Kultur bekommen kann, und weil sie die Damen im Flugzeug sehr hübsch findet. Ihr „zweiter Traum“, sozusagen als Alternativplan, ist Polizistin. „Wegen der Uniform“, sagt sie und lächelt verlegen. Mit acht Jahren hat sie also schon konkrete Pläne.

Ihr Berufswunsch: Stewardess, denn so kann sie fremde Kulturen kennenlernen

In dem Vorhof in dem wir grillen wird es plötzlich laut, denn zwei Jungs fangen eine Rangelei an. Es kommt zu einem kurzen Clinch und sofort ziehen die Mütter die beiden Streithähne auseinander. Es fließen viele Tränen und die Mütter fragen nach dem Grund für den Streit - es ging darum, wer als nächstes auf dem iPhone spielen darf. Es wirkt fast so, als ob das Neueste iPhone bei den Kindern bereits selbstverständlicher Standard wäre. Trotz des kleinen Streites ist die Atmosphäre sehr familiär, die eingeladenen Gäste sind Nachbarn oder gute Freunde. Die Kinder sind sehr offen und neugierig und fragen uns nach unseren Namen, greifen uns dabei frech an die Nase. Nicht umsonst bezeichnen Chinesen Menschen aus dem Westen als Langnasen und sind eine kleine Attraktion für sie, da sie so große Nasen nicht gewohnt sind. Einige Eltern verabschieden sich bereits etwas früher mit der Begründung, dass die Kinder morgen wieder in Schule müssen. Auch Yu Ting muss morgen wieder in die Schule, hat aber vorbildlich alle ihre Hausaufgaben bereits erledigt.

Yu Ting, 8 Jahre jung, präsentiert das Resultat ihrer Kalligraphie Stunden an der Schule

Es macht den Anschein, als würde sie sehr gerne in die Schule gehen. Stolz präsentiert sie uns ihre Kalligraphie Übungen, die sie in der Schule angefertigt hat. Das sei, so die Mutter, freiwilliges Engagement und fände in der Schule neben dem Unterricht statt. Der Unterricht fängt in der Grundschule für Yu Ting frühmorgens um 8:00 Uhr an und geht bis 11:40 Uhr, daraufhin haben alle Schüler Mittagspause. In der Zeit fährt sie nach Hause, isst etwas und arbeitet kurz an ihren Hausaufgaben, erklärt sie. Danach folgt ein kurzes Schläfchen und dann geht es zurück zum Nachmittagsunterricht. Von 14:15 Uhr bis 16 Uhr hat sie anschließend noch einmal Schule und bekommt dann auch die Gelegenheit, ihre Hausaufgaben zu erledigen. Zu den zusätzlichen Freizeitaktivitäten gehört das bereits erwähnte Tanzen, das Sie in der Schule besucht. In Deutschland ist es vergleichbar mit einer Arbeitsgemeinschaft - also einer AG. Der Tanzunterricht in der Schule ist kostenlos daneben spielt Yu Ting noch ein traditionelles chinesisches Instrument – ein guzheng, ein Zupfinstrument welches durch die längliche Form seines Klangkörpers bekannt ist. Das übt sie bei einem privaten Lehrer, dementsprechend kostet das auch 100 Yuan (ca.12 Euro) pro Sitzung, erklärt die Mutter von Yu Ting und lächelt dabei etwas gezwungen. Die Frage, ob Sie denn eine Tigermutter sei, wird an die Tochter weitergegeben und nicht wirklich beantwortet. Wenn die Tochter schnell mit ihren Hausaufgaben fertig ist, kann sie anschließend ihre Freizeit selber gestalten, argumentiert die Mutter. Überfordert fühlt sich die Tochter anscheinend nicht, denn sie verneint die Frage, ob sie gerne mehr Zeit für sich hätte.

Jedes Jahr berichten die chinesischen Nachrichten von ohnmächtigen Schülern wegen den Prüfungen

Da alle Jiaozi, die Geng Nü für uns gemacht hat, verschlungen wurden, holt sie eifrig aus der Küche neuen Teig und einen großen Teller mit Füllung. Sie ist selber nicht berufstätig, verkauft allerdings Jiaozi auf Bestellung und fragt uns mit einem Lächeln, ob wir zusammen welche machen möchten. Beim Schließen der Jiaozi zeigt sie uns eine neue Falttechnik und erzählt, dass Ihr Mann in einer Firma in Xiamen arbeitet, die Fernseher produziert. Weitere Kinder wünschen sie sich nicht, „denn der

Konkurrenzkampf in China zwischen jungen Menschen ist so hoch, dass bereits ein Kind volle Aufmerksamkeit beansprucht“. Jedes Jahr berichten die Nachrichtensender von ohnmächtigen Schülern und Studenten, denen der Druck wegen den staatlichen Prüfungen (dem berühmten „Gaokao“) zu viel geworden ist. Mit der Ein-Kind Politik wird anscheinend spielerisch umgegangen, denn wenn Eltern wirklich mehr als ein Kind haben möchte, gibt es durchaus Wege zur Umsetzung, erklärt uns unsere Lehrerin. Ursprünglich wurde die Ein-Kind Politik vom Staat eingeführt um die Bevölkerungsexplosion im Land zu kontrollieren. Ernährungsengpässe, Arbeitslosigkeit und sozialer Missstand in der Bevölkerung sollten dadurch eingedämmt werden. Wer heute im öffentlichen Dienst arbeitet -  riskiert bei weiteren Kindern- sogar seinen Beruf zu verlieren. Geng Nü ergänzt, dass sie es aber versuchen könnten, trotz des Risikos. Es sei auch abhängig davon, wo man sich befindet, denn in der Stadt sei es schwieriger als auf dem Land.

Yu Ting zusammen mit ihrer Mutter Geng Nü – wie eine Tigermutter wirkt diese nicht

Auf meine Frage, was die wichtigste Aufgabe für Eltern in Bezug auf ihr Kind ist, muss Sie nicht lange überlegen und antwortet mit „Gesundheit“. „Ohne die Gesundheit des Kindes spielt es keine Rolle wie schlau es ist, es nützt ihm nichts. Deswegen müssen Eltern in erster Linie dafür sorgen.“ Das Zweite sei ihrer Meinung nach, dass die Kinder glücklich sind und lächelt dabei – wie eine strenge Tigermutter wirkt sie dabei nicht. Mit Sicherheit gibt es nach wie vor strenge Mütter aber das Konzept von Amy Chua scheint etwas überzogen, und kann durchaus nicht für alle Mütter in China verallgemeinert werden. Die sehr strenge und immer fordernde Mutter, so wie es Amy Chua beschreibt, ist nicht die Realität für viele Kinder in China. Das Verhältnis zwischen der Mutter und dem Kind ist heute ehrlich, offen und liebenswürdig. Das Wohl des Kindes steht im Mittelpunkt und dessen Förderung mit unterschiedlichen Hobbys. Sport und Musik sind dabei wichtige Faktoren für die Kinder und prägen ihren Alltag. Das Kind muss nicht mehr traditionell und pflichtbewusst der Stammeshalter der Familie sein, sondern kann seinen eigenen Interessen nach gehen. Die staatlichen Schulen und Universitäten sind bis heute die wahren strengen und fordernden Einrichtungen in China.

Abschiedsfoto beim Barbecue – Abschluss eines unvergesslichen Abends

 

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