Strömender Regen, waden-tiefe Pfützen bilden sich an Kreuzungen, überall eilen Menschen über die Straßen, schnell unter Vordächern Schutz suchend. Der Wind peitscht, die wenigen mutigen Fußgänger, die noch zielstrebig die Bürgersteige bevölkern, sind trotz Regenschirm innerhalb von wenigen Minuten bis auf die Knochen durchnässt – und ich mittendrin. Willkommen an meinem ersten Abend in Shanghai, willkommen in meinem ersten Taifun zwischen Wolkenkratzern.
War die Unwetterwarnung am Vormittag bei angenehmen 34°C und strahlendem Sonnenschein noch schwer ernst zu nehmen, beschleicht zumindest mich an diesem Abend das Gefühl, dass Stellenweise ein Gummiboot den eigenen Füßen als Fortbewegungsmittel vorzuziehen gewesen wäre. Innerhalb weniger Minuten nach Einsetzen der schweren Regenfälle gleichen die Bürgersteige kleinen Bächen. Doch setzen sich neben mir erstaunlich viele, wetterfeste Shanghaier der natürlichen Dusche aus. Mit welchem Ziel, lässt sich nur spekulieren, doch meines ist klar. Am Ende des Weges wartet gutes Essen – gutes einheimisches Essen: Hotpot um genau zu sein. Vielleicht am einfachsten als chinesisches Fondue zu beschreiben und die ideale Mahlzeit für schlechtes Wetter. Hier werden Fleisch, Fisch oder Gemüse aller Art selbst zusammengestellt und direkt am Tisch in einem Topf mit brodelnder Brühe – ob scharf, mild, oder gleich beides nebeneinander – gegart. Gegessen wird direkt aus dem Topf, die Happen nur durch einen Dipp verschiedenster Saucen verfeinert, gern auch vermischt mit Sesampaste, Knoblauch oder Chiliöl. Hier gilt die Devise: Man isst was einem schmeckt und alles Andere kann probiert werden. Eine chinesische Freundin schwört sogar auf die gesundheitsfördernde Wirkung der heißen Mahlzeit. Ob dies stimmt oder nicht, bleibt noch zu testen, ich kann aber jedem Besucher Chinas nur ans Herz legen, besonders in der kalten Jahreszeit ein einheimisches Hotpot-Restaurant auszuprobieren. Wie gut es hier tatsächlich schmeckt, lässt sich schon an den Strömen hungriger Chinesen erkennen, die unbeirrt in das Restaurant fließen – trotz Unwetter. Schließlich lautet eine Faustregel, dass es das beste Essen dort gibt, wo die meisten Einheimischen essen. Wenn dann auch noch ein Sturm wütet, muss es wohl gleich doppelt so lecker sein. Nach dem Essen hat sich übrigens herausgestellt, dass unser Shanghaier Taifun wohl eher ein Taifünchen war. Die Sturmböen ließen schnell nach und auch die Kreuzungen glichen am nächsten Morgen keinen Seen im Großstadtdschungel mehr.