Der Wolf im Schafspelz

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Ein Jahr verbrachte Jan Kammann, freier Mitarbeiter bei China Tours, in der nordostchinesischen Provinzstadt Changchun. Als Entsandter der Kultusministerkonferenz war er mit Deutsch- und Englischunterricht für Mittel- und Oberstufenschüler betraut. Nebenbei eröffnete sich eine Vielzahl von anderen Karrieremöglichkeiten – unter anderem als Aushilfspfarrer für Hochzeiten eventorientierter Chinesen.

Während meiner Zeit in Changchun besuchte ich die ‚Alien Chinese School’. Hier lernte ich erste Grundlagen der Verständigung, erfuhr vieles über Land und Leute und traf spannende Menschen. Darunter Little Fish, die Sekretärin der Schule, die mich eines Tages um einen Gefallen bat. Worum es genau gehen sollte, erfuhr ich allerdings erstmal nicht, sie blieb sehr vage und rückte nicht richtig raus mit der Sprache. Ich erfuhr nur, dass es sich um eine Hochzeit eines befreundeten Pärchens handelt, bei der die Anwesenheit eines Ausländers gewünscht sei. Ist bestimmt interessant, dachte ich mir und sagte zu.

Ein paar Wochen später, der Hochzeitstermin rückte immer näher, fragte sie dann plötzlich, wie es um meine Frömmigkeit bestellt sei. Ich sagte, dass ich mit der Kirche ungefähr soviel zu tun habe, wie der Papst mit der Aufklärung von Missbrauchsfällen, aber dennoch getauft und konfirmiert bin. Skeptisch zieht sie die Augenbrauen hoch und murmelt ‚Mei Shi, Mei Shi’ (Macht nichts).

Bis dahin habe ich gedacht, es ginge um eine traditionell-chinesische Hochzeit und ich soll als Ausländer für den Hauch Exotik sorgen. Über meine genaue Funktion auf dem Fest hatte ich mir bis dahin keine Gedanken gemacht. Jetzt hieß es plötzlich, das Paar wolle in einer abendländisch-christlichen Zeremonie getraut werden und ich soll in einer Kirche ein paar Worte an das Brautpaar richten.

Eine Woche vor der Hochzeit rief Little Fish dann erneut an und fragte mich, was meine Dienste denn kosten würden. ‚Kosten? Ich betrachte das als eine Art Freundschaftsdienst, dafür nehme ich doch kein Geld’, erkläre ich ihr. Frage sie aber noch, ob Braut oder Bräutigam tatsächlich mit ihr befreundet sind. ‚Nein’, sagt sie jetzt plötzlich, ‚Ich kenne die Leute gar nicht’ und sie wird auf der Hochzeit auch gar nicht da sein. Ich bin verwirrt. Was soll ich auf einer Hochzeit von wildfremden Leuten und vor allem: Was soll ich denen erzählen? Nun erklärt sie, ein Freund von ihr leite eine Art Hochzeitsplanungsagentur. Bei ihm kann man verschiedenste Zeremonien buchen und er organisiert alles. Aktuell plant er eine Hochzeit nach westlichem Vorbild – und dafür braucht er einen Ausländer. Aha. Ich verstehe. Deshalb auch die Frage nach der Bezahlung…

Ich fühle mich hintergangen, werde aber trotzdem mitmachen. Wann bekommt man schon mal Gelegenheit einer chinesisch-christlichen Hochzeit beizuwohnen? Außerdem wird mir versichert, dass es sich bei meinem Auftritt nur um eine kleine Gastrede handelt. Nur ein paar Sätze auf Englisch – das exotische Element eben. Den Rest erledigen der Hochzeitsplaner und seine Mitarbeiter.
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Ein paar Tage später werde ich zu einer Probe einberufen. Probe? Mir schwant Schlimmes. Als ich mich zum verabredeten Zeitpunkt in der Kirche einfinde, laufen die Vorbereitungen bereits auf Hochtouren: Altar und Bühne werden mit weißen Kerzen und jeder Menge Blumen ausstaffiert, Sitzbänke unter lauten Anweisungen des Hochzeitsplaner-Chefs arrangiert und in der Eingangshalle wird eine ‚Merry-Christmas’-Girlande (!) ausgerollt. Als der Chef mich erblickt, stürzt er auf mich zu und drückt mir das Skript in die Hand. Es sieht vor, dass ich die Messe lese. Ich bin entsetzt. Er stellt sich das Ganze so vor, dass ich auf der Bühne hinter dem Altar stehe und auf Englisch meinen Text aufsage und er dann übersetzt - schließlich wird voraussichtlich keiner der Hochzeitsgäste auch nur ein Wort englisch verstehen.
Ich beginne zu begreifen, dass er mich als Pfarrer zu verkleiden gedenkt und ich ohne Gesichtsverlust aus der Nummer auch nicht mehr herauskomme. Ich werde der Braut Jialin Jia und dem Bräutigam Chen Lei das Jawort abringen und ich werde den beiden die Frage aller Fragen stellen müssen: ‚Will you love and honor her/him all the days of your life?’ Und das auf einer Bühne stehend, verkleidet als Pfarrer mit Robe, behangen mit einem roten Schal und einem silbernen Kreuz. Holy Shit. Zu allem Überfluss erfahre ich noch, dass Chen Leis Vater ein hohes Tier in der Changchuner Provinzregierung ist und deshalb muss natürlich alles besonders reibungslos ablaufen.

Am nächsten Tag ist Hochzeit, an einem Werktag um 10.00 morgens. Unsicher stehe ich vor der Bühne herum. Ich kann mich mit niemandem so recht unterhalten. Der Chef ist noch aufgeregter als ich und kümmert sich um die letzten Feinheiten wie Musik und Kameraleute (!). Dann kommt endlich eine Frau auf mich zu. Sie überreicht mir meine Verkleidung und fragt mich nach meinem Glauben. Sie spricht ein bisschen englisch und es stellt sich heraus, dass sie Theologin ist und jeden Samstag den Gottesdienst macht. Ich fühle mich noch elender. Ein Wolf im Schafspelz. Dem Chef sind meine Zweifel egal – er hat die Kirche für dieses Event gebucht, es geht ihm ausschließlich um ein gutes Geschäft. Verdammte Ketzer sind wir, denke ich mir, als ich die unschuldig dreinblickende Pfarrerin betrachte.

Dann geht es los. Die Kirche ist voll besetzt, alle Kameraleute und Fotographen in Stellung. Die Tür öffnet sich und der Bräutigam betritt den Raum. Begleitet von seinem Trauzeugen läuft er zu ‚Ode an die Freude’ an den Gästen vorbei, um dann vor mir stehen zu bleiben. Das Publikum applaudiert. Dann die Braut. Flankiert vom Brautvater und einer Dame in weiß schreitet sie stolz zu ‚Amazing Grace’ auf den Traualtar zu. Jubel brandet auf. Dann kommt auch sie vor mir zum Stehen und die Menge wartet hoffnungsfroh auf meine Worte der Nächstenliebe. Im Grunde ist es egal, was ich sage, es versteht mich ja doch keiner. Trotzdem – ich halte mich an die Vorgaben und fange an, die Hochzeitspredigt zu halten, die der Agenturchef ganz offenbar irgendwo aus dem Internet hat. ‚Today we gathered here under the watchful eye of god...usw’. Nach jedem Absatz halte ich inne und warte auf die Übersetzung aus dem Off. Alles läuft wie geplant. Die entscheidenden Fragen werden von beiden artig bejaht, der Trauzeuge hat auf das vereinbarte Stichwort die Ringe zur Hand und der Aufforderung sich zu küssen, kommt das Paar auch sofort nach, sodass ich beide am Ende der Sitzung feierlich zu Mann und Frau erklären kann. Erneut brandet Jubel auf, ‚Ode an die Freude’ erklingt und ich bleibe wie versteinert hinter dem Altar stehen. Dann wendet sich das Paar zum gehen, die Hochzeitsgesellschaft folgt. Als alle die Kirche verlassen haben, stehe ich noch immer total verunsichert hinter meinem Altar, bis der Chef auf mich zukommt, irgendwas mit ‚Thank You, well done’ redet und ebenfalls verschwindet. ‚Äh ja, nichts zu danken’, rufe ich noch halbherzig hinterher, mit dem unschönen Gefühl missbraucht worden zu sein.
Nun bin ich alleine mit der richtigen Pfarrerin. Sie lädt mich ein am Gottesdienst am Samstag teilzunehmen. Vielleicht sollte ich das Angebot wahrnehmen, um dort Buße zu tun für diese unfassbar verlogene Vorstellung. Auf der anderen Seite – was ist schon passiert? Ich war Hauptdarsteller in einer merkwürdigen chinesischen Hochzeit und habe zwei Menschen in den Hafen der Ehe geleitet. Außerdem dürfte es dem Hochzeitspaar und der Gesellschaft sowieso nur um das Event gegangen sein, auf dem ich das Maskottchen war. Na ja, wie ich es drehe und wende – irgendwie bleibt da ein komischer Beigeschmack. Später rät mir ein Freund, Visitenkarten anzuschaffen. Neben Gabelstaplerfahrer, Tankwart, Pizzabote und Lehrer könnte ich da jetzt auch Priester drauf drucken lassen. Warum eigentlich nicht...?

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