Ich schiebe mich durch die Menschenmenge und drängele mich nach vorne. Gestern ist es passiert. Glatter Steinboden, schlechtes Licht und Zack, schon liege ich wie ein Käfer auf dem Boden, alle Viere von mir gestreckt. Heute Morgen wecken mich Schmerzen im Arm. Jetzt stehe ich hier in einem Shanghaier Krankenhaus am Empfang.
Die Krankenhäuser in Shanghai gehören zu den Besten des Landes. Die Ärzte durchlaufen eine fast zehnjährige Ausbildung und verdienen dennoch kaum genug Geld zum Leben. Viele sind auf private Geschenke und finanzielle Zuschüsse ihrer Patienten angewiesen.
Die Orthopädische Abteilung ist im zweiten Stock. Ich habe Glück, das Krankenhaus befindet sich in einem Hochhaus. Wer in den 10. oder 11. Stock muss, wird sich den Aufzug mit unzähligen hustenden und schniefenden Patienten teilen müssen und kann gleich einen zusätzlichen Stopp in der HNO-Abteilung einlegen. Die Patienten im Krankenhaus sitzen und liegen in allen Ecken. Überall wird gedrängelt. Jeder Stuhl ist besetzt. Die meisten sehen alt und schwach aus. Teilnahmslos warten sie, dass sie aufgerufen werden und es mit der Behandlung weiter geht.
Jeder Chinese, der offiziell in Shanghai registriert ist, hat eine Krankenversicherung. Allerdings deckt diese Versicherung nur die Behandlung an sich ab. Bei einem stationären Aufenthalt bringt die Familie das Essen selbst mit und verabreicht Spritzen und Infusionen. Wer es sich leisten kann, stellt eine Krankenschwester für den Patient an.
Ich habe die erste Hürde genommen. Mit meiner „Kundenkarte“, eine Chipkarte, die meine Daten enthält, melde ich mich bei der Rezeption in der Orthopädie an. Praxisgebühr rund 1,50 Euro. Dann warte ich bis meine Nummer aufgerufen wird.
Als Ausländer habe ich die Wahl. In Shanghai sind Ärzte aus der ganzen Welt tätig. Als mich vor einigen Jahren abrupt mein Hörvermögen verließ, beschloss ich zu einer deutschen Ärztin zu gehen. Die Praxis glich einem Wellness Center. Kaum hatte ich im Wartezimmer den „Spiegel“ aufgeschlagen, da wurde ich schon aufgerufen. Eine viertel Stunde später war ich um einen dicken Klumpen Ohrenschmalz und hundert Euro ärmer.
Inzwischen werde ich in ein Besprechungszimmer gerufen. Der Arzt hat noch einen Patienten und zwei weitere drängeln bereits ungeduldig von draußen herein. Diskretion? Fehlanzeige. Fachkundig begutachtet der junge Arzt meinen Arm. Er bemüht sich sogar ein wenig Englisch zu sprechen. Leider verwechselt er „three“ und „seven“. Das Ergebnis ist, dass er mich zum Röntgen statt in den dritten in den siebten Stock schickt. Ich komme doch noch in den zweifelhaften Genuss des Aufzugs. Wieder im dritten Stock zahle ich die Gebühr für das Röntgen, 10 Euro, und ziehe eine weitere Wartenummer.
Aus einem Schalter neben mir dringt ein würziger Geruch. Die Chinesen holen hier dicke Plastiktüten ab. Aus manchen ragen Ginsengwurzeln heraus. Die Patienten können entscheiden, ob sie mit westlicher oder chinesischer Medizin behandelt werden möchten. Mein Krimi ist fast ausgelesen, da ist mein Röntgenbild „schon“ fertig. Ich gehe wieder zurück zu meinem Arzt. Er betrachtet es, drückt noch einmal auf meinem Arm herum und beschließt dann, sehr zu meiner Erleichterung, dass alles in Ordnung ist. Ich bekomme zum Abschluss noch eine Creme verschrieben. Das heißt noch einmal an der Kasse anstehen und bezahlen. Dann am Schalter für westliche Medizin anstehen und die Creme abholen.
Hier mein Krankenhausbesuch noch einmal in Stichworten zusammengefasst: 1. Stock Überweisung in die Orthopädie holen, 2. Stock Anmeldung in der Orthopädie, Wartenummer ziehen. Vom Arzt in den 7. Stock geschickt, wieder im 3. Stock Röntgengebühren zahlen, Anmelden zum Röntgen, Röntgenbild abholen, 2. Stock Wiedermelden in der Orthopädie, Creme bezahlen, Creme abholen. Ich stand also in vier Stunden an neun Schaltern an und habe insgesamt 14 Euro bezahlt. Fazit: ein Krankenhausbesuch in China ist nicht teuer, aber zu krank sollte man bei den Strapazen auch nicht sein.