Zwei Mal pro Jahr schreibt China Tours ein Nachwuchsstipendium für angehende Journalisten aus, die für unser Online-Magazin live aus China berichten. Das letzte halbe Jahr konnten Sie mit Isabelle Harbrecht bereits „Shanghai Inside“ erleben und spannende Einblicke in die chinesische Welt bekommen. Ab Oktober nimmt Sie nun unsere neue Stipendiatin Stephanie Rudolf mit auf Entdeckungsreise durch Peking und Taiwan.
Die China Tours-Familie hat Zuwachs bekommen. Durch Studium, Reisen und Praktika hat Steffi Rudolf sowohl das chinesische Festland als auch die Insel Taiwan kennen und lieben gelernt. Warum sie von Hauptstadt- und Inselleben gleichermaßen begeistert ist, wie es zur Faszination für die fernöstliche Welt kam und warum Sie ihre Kolumnen nicht verpassen sollten, erzählt sie Ihnen hier.
Der Curser blinkt ungeduldig, durch die halb offene Tür strömt ein Schwall spätsommerlicher Hauptstadtluft. In diesem Gemisch aus Musikfetzen, Fett und Abgasen sitze ich in meinem Lieblingscafé, nippe am Kakao und suche nach dem passenden Anfang. Anderthalb Tassen später ist das Blatt immer noch weiß. Eine Idee muss her. Ich bin nämlich damit beschäftigt, mich Ihnen vorzustellen. Trotz mangelnder Kompetenz bei der Weinauswahl anlässlich des Abendessens zum Vorstellungsgespräch für dieses Stipendium bin ich das neue Mitglied der China Tours-Familie und darf nun gemeinsam mit Ihnen auf Entdeckungsreise durchs Reich der Mitte gehen. Bevor wir aber in Pekings Großstadtdschungel eintauchen, muss noch der Vorstellungsartikel fertig werden. Meine Kommilitonin verdreht die Augen. „Kann doch nicht so schwer sein. Schreib halt was Interessantes. Oder ein paar Anekdoten.“ Ja, Anekdoten gäbe es da einige. Zum Beispiel die von meinem ersten Praktikumstag auf der schönen Insel Taiwan, bei dem mir die sommerlich Hitze zum Verhängnis wurde. Ich kam, sah und fiel in Ohnmacht. Als ich die Augen wieder aufschlug, fragte mich jemand - wie sich später herausstellte, war es meine Chefin - ob ich denn die neue Praktikantin sei. Aber so etwas kann man ja nicht schreiben, soll ja schließlich was her machen. Wie dem auch sei, dass mit dem Vorstellen wird noch einen Augenblick warten müssen, denn die Dame am Tisch gegenüber hat meine volle Aufmerksamkeit. Alles an ihr ist geringelt: Socken, Pulli, Zopfband. Und sie hat Großes vor. Entschlossen schiebt sie die Kaffeetasse von sich und hievt Buch, Bleistift und einen etwas altertümlichen Rekorder aus der Tasche. Als sie das Tonband startet, staune ich nicht schlecht. „…Deutsch für die Reise…“, knarzt die Stimme und kurz darauf sind wir schon mitten in Lektion 1: Kennenlernen.
Guten Tag. Was ist der Grund Ihrer Reise? Sind Sie das erste Mal hier? Seit meinem Abitur hatte ich das Glück schon einige interessante Ecken Chinas kennenlernen zu können. Meine erste Chinareise trat ich im Sommer 2005 an. Die „Ausrede“, ich könne leider nicht beim Aufräumen nach dem Abschluss-Ball helfen, da ich in wenigen Stunden nach Peking fliege, nimmt mir meine Freundin bis heute übel („Du willst dich nur drücken!“). Aber es stimmte. 24 Stunden nachdem man mir die fachliche Hochschulreife ausgehändigt hatte, saß ich im Flieger nach Fernost und versuchte, möglichst detailgetreu die beiden Zeichen abzumalen, die da in meinem Pass unter „Ausstellungsort des Visums“ standen. Zu dem Zeitpunkt konnte ich gerade mal „ni hao“ sagen und alles – mir inklusive – glaubte, dass ich nach drei Wochen Verkehrschaos, Menschentrauben und Smog genug hätte. Hatte ich nicht.
Dabei war mein Interesse an China zunächst eher praktischer Natur gewesen: In der Mittelstufe belegte ich die „Kinder in China“-AG mit geringer Stundenzahl und wenig Hausaufgaben, dafür aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auf chinesisches Essen und nach den Kalligraphie-Versuchen tintenverschmiert nach Hause zu kommen. Als es darum ging, die Lücke zwischen Abitur und Studium zu füllen, kam China gerade recht: Ich war klein, konnte mit einem Fahrrad umgehen und aß gerne Reis. Dass dann doch einiges mehr dahinter steckte, merkte ich, als ich das erste Mal auf dem Platz des Himmlischen Friedens stand und von dort aus durch die purpurnen Mauern der verbotenen Stadt geschoben wurde. Fabeltiere und Weltkulturerbe, Tempel und Hutongs, Morgensport im Park, verräucherte Garküchen und an jeder Ecke eine neue Überraschung. Ich saugte alles auf und war begeistert.
Zurück in Deutschland, musste ich schnell feststellen, dass hier ein etwas anderes Chinabild (sehr groß, sehr rot, sehr böse) vorherrschte, was vieles von dem, was ich in den drei Wochen erlebt hatte, komplett ausblendete. Meine Studienfachentscheidung stand an und ich hing immer noch meinen Reiseerinnerungen nach. Auf der Suche nach “meinem“ Chinabild (und weil ich wirklich gerne Reis esse) schrieb ich mich für Asienwissenschaften und BWL ein, verbrachte ein Jahr auf Taiwan, reiste durch Hongkong und Macao, jobbte mich durch Südkorea und landete schließlich wieder in Peking, wo ich momentan in einer deutsch-chinesischen WG lebe und im Studiums-Endspurt bin.
Krrrrrrrrrrrrr…Der Rekorder schnarrt und bringt mich zurück ins Hier und Jetzt. Die Geringelte sieht konzentriert aus. Ihr Mund formt Vokale und Konsonanten. Die letzte Silbe ist noch nicht ganz ausgesprochen, da schaltet das Tonband mit einem leisen Knacken weiter zum nächsten Satz.
Hier gibt es viele Sehenswürdigkeiten. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Peking ist eine sehr dynamische Metropole, die es versteht ihr kulturelles Erbe imposant in Szene zu setzen. Eine Stadt mit vielen Facetten, die sich auch und vor allem abseits der Touristenattraktionen wiederfinden. Pendelt man zwischen den Stadtteilen, so wird man schnell feststellen, dass zwischen den einzelnen Bezirken nicht nur Welten liegen, sondern meist ein ganzes Universum. Wenn China das Land der Gegensätze ist, dann ist Peking sein Superlativ. Was mich an Peking besonders reizt, sind seine versteckten „Grünoasen“, die lebhaften Hutongviertel und verträumten kleinen Gässchen im Gegensatz zum Vorzeigedesign der Flaniermeilen. Vor allem aber sind es die Menschen, die diese Stadt so einmalig machen. Peking ist die Stadt der Geschichten. Geschichten von Menschen aus allen Regionen des Landes. Geschichten von Erfolg und Scheitern, von Trauer und Neuanfang, von Hoffnung, Melancholie und großen Plänen. Bei Peking denke ich immer an den Videoclip „Underneath it all“ der Gruppe No Doubt: Eine perfekt geschminkte Dame sitzt vor der Frisierkommode und hantiert so lange mit Tüchern und Schwämmen, bis alles Make-up abgetragen ist. Am Ende bleibt das ungeschminkte Gesicht im Spiegel und die Frage „Na, wie gefall ich dir jetzt?“. Genau diese Frage stellt sich, wenn man in der Chamäleon-Stadt Peking um die nächste Ecke biegt. Peking heißt für mich: Es geht immer noch eine Schicht tiefer.
Das Geniale an Taiwan ist, dass sich so viele verschiedene Landschaften und kulturellen Einflüsse auf einem relativ kleinen Raum vereinen. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Schatzinsel: durchklüftete Küstenstreifen, die Tarokko-Schlucht mit ihren kuriosen Steinformationen, das verträumte Hualien, die
Tempel-Stadt Tainan mit ihrem ganz eigenen Charme, die Strände von Kenting und schließlich die kreative Hauptstadt Taipeh - eine bunte Mischung, die einen so schnell nicht wieder loslässt. Noch dazu kommt, dass Sie hier einen guten Überblick über die verschiedenen Küchen Chinas bekommen und sich in den heißen Quellen aalen können. Während Peking sich darauf versteht, seine Schätze zur Schau zu stellen, weiß Taiwan die seinen zu verstecken, weshalb es sich besonders lohnt neugierig zu sein. "Knack" macht es leise aber bestimmt, die Übungszeit ist abgelaufen, die Geringelte schaut kurz auf. Das Tonband surrt und der Sprecher setzt zur nächsten Frage an.
Können Sie mir das aufschreiben? Gerne! Ab Oktober können Sie meine Kolumne „Peking 360°“ lesen, in der ich Ihnen die spannenden, kuriosen und überraschenden Seiten der chinesischen Hauptstadt vorstellen möchte. Vielleicht gelingt es mir ja auch, ein wenig von der Faszination für dieses „Mosaik der Gegensätze" zu transportieren, das Sie auf Ihrer Reise nach China unbedingt einplanen sollten. Im November machen wir dann einen Abstecher auf die quirlige „Ihla Formosa“ (Taiwan), die ihrem Namen mehr als gerecht wird. Wenn Sie mögen, entdecken wir gemeinsam die taiwanische Küstenlandschaft, probieren den Exportschlager „Bubble Tea“ und hören uns einmal quer durch Chinas Musikszene. Auf Ihre Kommentare, Nachrichten und Anregungen bin ich gespannt. Also, bis bald. Ich freu mich auf Sie!
Die geringelte Dame greift nach der Kaffeetasse und setzt genüsslich an. Sie drückt die Pause-Taste. Der Rekorder knarrt noch ein letztes Mal und verstummt…