Herr Yang ist Zuckerkünstler. Seit vier Generationen wird das Handwerk in der Familie weitergegeben. Häufig anzutreffen sind Pekings Zuckerkünstler allerdings nicht, denn das „candy-blowing“ gehört zu einer aussterbenden Art. Xiang Xiang allerdings hat Glück. Beim Familienausflug in den Alten Sommerpalast hat er sie entdeckt, die bunten Figuren, die Herr Yang auf einer Stange ausgestellt hat. Xiang Xiang muss nicht lange überlegen. Er lässt drei Kuai in das Holzkästchen fallen und bestellt eine Hunde-Figur. Bisher ist von der allerdings noch nicht viel zu sehen.
Zunächst muss der Zucker über einem kleinen Kohleofen zum Schmelzen gebracht werden. „Bei welcher Temperatur schmilzt Zucker?“, fragt Herr Yang die Umstehenden. Ein Griff zum internetfähigen Handy und Xiang Xiang weiß bescheid: 186° C, sagt Suchmaschine Baidu. Herr Yang nickt zustimmend. „Aber“, sagt er, „mit dem Kohleöfchen hier bringe ich es höchstens auf etwa 120°C, ganz verflüssigen darf sich die Zuckermasse nicht.“
Wann genau die
Kunst des „candy-blowings“ erfunden wurde, ist umstritten. Wahrscheinlich stammen die ersten Figuren aus der Zeit der Song-Kaiser (960-1279). Herrn Yang allerdings gefällt der Gedanke, dass das Zucker-Handwerk seinen Ursprung in der Tang-Dynastie (618-907) genommen hat. „Das chinesische Wort für Zucker, tang, klingt genauso wie der Name der Tang-Dynastie. Das würde doch gut passen.“ Und während er seine Version der „Zucker- Dynastie“ zum Besten gibt, walzt er die Masse kurz mit den Händen. „Auf diese Weise kann Sauerstoff hinein, andernfalls würde die Figur am Ende zusammenfallen.“ Anschließend füllt Herr Yang die Masse in eine kleine Holzform und schiebt vorsichtig einen Strohhalm hinein.
Fertige Figuren aus Zucker
Nach dem „Aufpusten“ der Masse, wird die kleine Kugel auf einem Bambusstäbchen befestigt. Auf diesem Stäbchen kann Xiang Xiang in wenigen Minuten seinen Hund nach Hause tragen – so hat Herr Yang es ihm versprochen. Xiang Xiang lugt zweifelnd unter seinem Baseballcap hervor, als der Zuckerkünstler sich den Ohren der Figur widmet. Die sind immer besonders lästig. Alle Teile einer Figur, die nachträglich modelliert werden müssen sind mühsam zu formen und vor allem: sie fallen besonders leicht ab. Daher spielt das Klima für die süße Kunst eine wichtige Rolle. „Wenn es zu heiß ist, hält sich die Zucker-Figur nicht lange, es kann sogar sein, dass man überhaupt keine Figuren herstellen kann, weil die Masse einfach nicht fest genug wird“, berichtet Herr Yang. Wenn es Spätsommer wird in Peking und die Tage kühler werden, dann erst haben die Zucker-Figuren Hochsaison.
Aus Xiang Xiangs Kugel ist inzwischen ein kleiner Hund geworden. „Bei dem Klima hier in Peking“, sagt Herr Yang, als er ihm die Figur überreicht, „kannst du den bis zu 10 Jahre aufbewahren“. So lange will Xiang Xiang allerdings nicht warten. Ein letztes bewundernder Blick, dann beißt er entschlossen zu.
PS: Es gibt aber noch eine andere Verarbeitungsweise für die süße Ressource. In Ciqikou, einem
Altstadtviertel in Chongqing, geht Herr Li seinem Handwerk nach. Neugierige Leckermäuler können sein Glücksrat besonderer Art betätigen: Fische, Hühner, Drachen, die Figur, auf der der Zeiger stehenbleibt, darf man wenige Minuten später nicht nur bewundern, sondern auch essen. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Der Zeiger kreist einige Runden und bleibt stehen: ein Schmetterling.
Ist die Schöpfkelle erst einmal in den Eimer mit der Zucker-Sesam-Mischung getunkt, geht alles sehr schnell: Auf der kleinen Unterlage bildet sich ein feines Netzwerk aus Zuckerlinien unterschiedlicher Dicke. Zum Schluss wird noch ein Bambusstäbchen als Griff angebracht und In kaum drei Minuten halte ich das fertige Ergebnis in der Hand. Bleibt nur noch die Frage, mit welchem Flügel ich jetzt anfange.