Hutongs sind nicht nur das Aushängeschild des "alten" Pekings, sie liegen auch absolut im Trend: Hutongs locken zu Reisen in die Vergangenheit oder zum Bewundern futuristischen Designs. Aber seien Sie beruhigt: Pekings Hutongs sind weit mehr als nur Postkartenmotive.
Es war einmal ein Volk, das hielt, wie alle Völker in jenen Tagen, sein Land für den Mittelpunkt der Welt. Da es ein sehr großes Land war, dessen Herrscher zu sein ein vielversprechendes Unternehmen schien, schickte sich ein feindlicher Volksstamm aus dem Norden - die Einwohner des Mittelpunkt-Landes nannten diese Menschen Barbaren, sie selbst bevorzugten die Bezeichnung Mongolen - an, das Land, das wir China nennen, zu erobern. So entstand die Yuan-Dynastie (1271-1368) und Peking wurde Hauptstadt. In dieser Zeit entstanden die kleinen Gässchen, die die traditionellen Wohnhäuser (Siheyuan) der Einwohner Pekings miteinander verbanden und die sich im Laufe der Zeit zu richtigen Labyrinthen auswuchsen.
In der Sprache der Mongolen nannte man sie Hutongs. Besonders wichtig wurden die Hutongs in der nachfolgenden Ming-Dynastie (1368-1644), die nach der Barbaren-Herrschaft wieder Ordnung in die Stadt bringen wollte. Peking wurde das, was wir heute als Stadt vom Reißbrett bezeichnen. China war die Mitte der Welt und in der Mitte der Mitte entstand mit Beginn des 15 Jahrhunderts die Verbotene Stadt. Auch die soziale Ordnung folgte diesen strengen Regeln. Im herrschenden Feudalsystem durften nicht jeder einfach wohnen, wie er wollte: Es entstanden ein innerer und ein äußerer Stadtring aus Hutongs, in dem Freund und Feind, einflussreiche Familien und das einfache Volk streng von einander getrennt wohnten.
Mitte des 20. Jarhunderts begann das unaufhaltsame Wachstum der Stadt. Man baute zwar immer noch Hutongs, hielt sich allerdings nicht mehr streng an die Reißbrettvorgaben. In den fünfziger und sechziger Jahren, als China zwar immer noch das Reich der Mitte war, seine Bewohner jedoch von "alter Kultur" genug hatten, machte sich dies auch in den Hutongs bemerkbar. Einige fielen den Wirren der neuen Zeit zum Opfer, andere wurden zu Kollektivunterkünften, auf denen mehrere Familien auf engstem Raum lebten. Wieder andere verschwanden still und leise in der Versenkung, um heute in neuer Pracht zu erstrahlen.
Für Furore sorgten Hutongs besonders in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2008, da viele von den traditionellen Wohnbezirken dem Bauboom zum Opfer fielen. Es gründeten sich Initiativen, die sich mit variierendem Erfolg für die Erhaltung der Pekinger Hutongs einsetzen.
Heute gehören Hutongs auf den Besichtigungsplan eines jeden Pekingreisenden und die Rickshafahrt durch die engen, verschlungenen Gässchen, die Einblicke ins ursprüngliche Peking verspricht, ist ein Muss. Besonders gut erhaltene und beliebte Hutong-Viertel finden sich in Houhai und um die Qianman Street (auch: Dashilan Hutong Viertel). Während erstere mit romantischer Kulisse am Seeufer und gemütlichen Bars rund um den See locken, findet man in den Hutongs in Dashilan (Qianmen) nicht nur Pekings ehemals größten Rotlichtbezirk, sondern auch viele "alte" Geschäfte beispielsweise für Seide und traditionelle Schuhe, von denen die meisten bereits über hundert Jahre an Ort und Stelle stehen.
Bei einem Gang durch die Hutongs werden Sie außerdem feststellen, dass die jeweiligen Namen nicht ganz ohne Grund vergeben wurden. Vielleicht testen Sie einmal den Zigaretten, den Ziegelstein oder den Geldmarkt Hutong. Egal welchen Hutong Sie besichtigen, es lohnt sich, sich einfach mal in einem der Gässchensysteme zu verlieren und hinter einige der halboffenen Türen zu lugen.
Wenn Sie jetzt allerdings glauben, Hutong-Leben sei Vergangenheit, haben Sie sich geirrt. Damals wie heute gibt es Hutongs in allen Ausführungen. Die einen eng, heruntergekommen und mit fraglichen hygienischen Verhältnissen, die anderen der neue In-Treffpunkt von Expats, Touristen und Einheimischen. Auch auf dem Wohnungsmarkt sind Hutongs begehrt wie nie . Bei denen, die es sich leisten können, versteht sich. Denn die restaurierten Hutong-Wohnungen, in denen sich findige Innenarchitekten ausgetobt haben, sind die neuen Sterne am Design-Himmel - mit nicht selten astronomischen Preisen. Das neue Hutong-Feeling abseits des hektischen Hauptstadtalltags kostet.
Für Rekordjäger: Hutongs sind berüchtigt für ihre Abzweigungen. Besonders häufig um die nächste Ecke biegen können Sie im labyrinthartigen Baixinqiao Hutong. Wenn Sie eine besonders "lange" Hutong-Erfahrung einplanen, dann ist die beste Möglichkeit ein Bummel durch den Dong Jiaomin Hutong, der sich über gut 6 km erstreckt. Wer's dagegen lieber kurz und schmerzlos mag, ist mit den rund 30 Metern des Guantong Hutongs gut beraten. Besonders nahe rücken die Wände des Qianshi Hutongs, der als des engste Gässchensystem Pekings gilt. Mit einer Geschichte von über 700 Jahren zählt der Zhuanta Hutong zu den ältesten Pekings.
Hippe Hutongs: Sie sind die Lieblingskinder der Hauptstadt. Neben Houhai und Qianmen reichlich frequentiert ist Nanluoguxiang, die Hauptstraße zu einem Straßensystem aus insgesamt 16 Hutongs, das von der Stadtregierung bereits 1990 als kulturelles Erbe unter Denkmalschutz gestellt wurde.
Neben einer großen Auswahl an gut erhaltenen Hutongs mit vielen überraschenden Einblicken, sorgen die vielen Hutong-Bars, die mit ihrer Palette von kitschig-nostalgisch bis ultra-modern sowohl bei Einheimischen als auch bei Besuchern großen Anklang finden. Daher gilt auch: Die 8m breite Nanluoguxiang-Straße ist kein Geheimtipp, sondern es wird voll. Ein Bad in der Menge lohnt sich aber dennoch für alle, die sich über die neuesten Trends in urigem Ambiente informieren möchten - und wenns wirklich zu voll wird, kann man ja immer noch in die Seitenstraßen abtauchen.
Weitere Anlaufstellen für entspannte Auszeiten sind z.B. Baiziwan Lu und Fangjia Hutong. Wer seinen Hutongausflug mit einem Besuch auf einem Antikmarkt krönen möchte, sollte einen Abstecher in die Liulichang Culture Street machen.
Wudaoying Hutong - hat nicht so viele Besucher wie der große Bruder Nanluoguxiang, ist aber dabei selbigem den Rang abzulaufen. Mit gut erhaltenen Hutong-Gässchen, charmanter Architektur, kreativen Alternativ-Shops und netten Bars definitiv eine lohnenswerte Alternative und gilt in der Hauptstadt (noch) als echter Geheimtipp.