Das Fundament Chinas: Dujiangyan

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Es ist kein Geheimnis, dass der Westen erst mit der industriellen Revolution eine Vormachtstellung gegenüber China einzunehmen begann. Über Jahrtausende war die chinesische Technik der europäischen überlegen. Ein frühes Beispiel für die geniale Ingenieurskunst der alten Chinesen ist das Bewässerungsprojekt Dujiangyan, das in den 2.250 Jahren seines Bestehens entscheidend zum Wohl der Bevölkerung beigetragen hat.

Verfasst von Lukas Weber

Es heißt: „Der Norden hat die Große Mauer, der Süden hat Dujiangyan.“ Doch während die Mauer ihre ursprüngliche Funktion längst nicht mehr erfüllt, spielt Dujiangyan (都江堰) auch noch im heutigen China eine entscheidende Rolle – und das seit 2.250 Jahren. Erstaunlich ist daher, wie wenig bekannt dieses Bauwerk außerhalb der Landesgrenzen ist. Höchstwahrscheinlich geht auch gerade in Ihrem Kopf die Frage um: Wer oder was ist ein Dujiangyan?

Der kongeniale Gouverneur Li Bing

Es ist die Zeit der Streitenden Reiche (475-221v.Chr.), sieben Staaten ringen miteinander um die Vorherrschaft in China. Während das Land von Krieg durchzogen ist, blühen zugleich Wissenschaft und Philosophie: Unzählige Gelehrte, zu denen auch Konfuzius zählt, ziehen von Königshaus zu Königshaus und bieten ihre Dienste an, die oftmals über Sieg und Niederlage eines Herrschers entscheiden. Einer von ihnen ist Li Bing (李冰), der im Jahr 272 v.Chr. von dem aufstrebenden Herrscher von Qin als Verwalter in das kürzlich eroberte Gebiet der Shu und Ba (heutige Provinz Sichuan) entsandt wird.

Steinstatue des Li Bing Steinstatue des Li Bing

Das dringlichste Problem bei seiner Ankunft sind die häufigen Überschwemmungen des Min-Flusses, die eine effektive Landwirtschaft unmöglich machen. Drei Jahre lang studiert Li den Fluss, ehe er die Stelle des heutigen Dujiangyan für sein Bewässerungsprojekt auserwählt. Gemäß der daoistischen Philosophie des geringsten Widerstands plant er den Flusslauf sanft umzuleiten, anstatt den Überschwemmungen mit Mauern zu trotzen, die doch nur immer wieder neu errichtet werden müssten.

Doch zunächst muss er die lokale Bevölkerung für das Projekt gewinnen: In der hier ansässigen animistischen Kultur wird der mächtige Min-Fluss nämlich als Gottheit verehrt, dem jährlich zwei junge Mädchen geopfert werden. Durch diese symbolische Vermählung der Menschenfrauen mit dem Gott soll der Fluss besänftigt werden. Doch anstatt diesen barbarischen Kult schlichtweg zu verbieten, begegnet ihm Li Bing mit einer List: Er bietet an, in diesem Jahr seine eigenen zwei Töchter mit dem Fluss zu „vermählen“. Während des pompösen Festmahls lässt es sich der Brautvater jedoch nicht nehmen, mit dem zukünftigen Bräutigam auf die Vermählung anzustoßen. Doch der Flussgott trinkt (oh Wunder) sein Glas nicht aus, woraufhin Li wütend sein Schwert in den Fluss stößt, ihn zum Kampf herausfordert und davonrauscht.

Daraufhin beobachtet die erstaunte Menge, wie am Flussufer zwei Bullen aufeinander losgehen, welche den Flussgott und Li Bing repräsentieren. Schwitzend und blutend kehrt Li nach einer Weile zurück und bittet um Hilfe im Kampf gegen den Gott. Der symbolische Bulle wird getötet und mit dem Ende des Flussgottes ist nun auch die Bevölkerung mit dem Verbauungsprojekt einverstanden.

Die künstliche Insel aus der Vogelperspektive Die künstliche Insel aus der Vogelperspektive

„Grabt tief damit das Wasser fließt, grabt weit so dass der Überschuss flieht.“

Lis Plan bestand nun darin, den Fluss durch eine künstliche Insel in zwei Flüsse zu trennen. Der sogenannte „innere Fluss“ sollte als Bewässerungskanal Wasser auf die Felder bringen, während der „äußere Fluss“ überschüssiges Wasser und Schwemmmaterial fortspülen sollte.

Das Bett des inneren Flusses wurde dementsprechend tiefer gegraben, damit zu Trockenzeiten mehr Wasser für die Felder zur Verfügung steht. Erst ab einem gewissen Hochstand fließt das Wasser auch im äußeren Fluss, der seichter und breiter ist. Zu Trockenzeiten fließen daher 60% des Wassers in den Bewässerungskanal, während es zu Flutzeiten automatisch genau umgekehrt ist. Ohne weiteres Zutun werden dadurch sowohl Überschwemmungen verhindert als auch die Felder effektiv bewässert.

Mit Bambus vor der Strömung gesichert Mit Bambus vor der Strömung gesichert

So genial und einfach das Prinzip ist, die künstliche Insel kann vorerst nicht errichtet werden. Die Strömung des Flusses ist zu stark und trägt alle Steine, die man zur Insel aufschütten will, mit sich fort. Erst als Li Bing eine Frau beim Wäschewaschen mit einem Bambuskorb beobachtet, kommt ihm die rettende Idee: Die Steine sollen erst in Bambuskäfige gepackt und dann im Fluss versenkt werden. Auf diese Weise kann sie die Strömung nicht mehr fortspülen.

Mit dieser Idee stellt sich der Erfolg ein. In nur vier Jahren vollenden die 10.000 Arbeiter Li Bings den Bau der Insel.

Die nächste Herausforderung

Doch noch ist das Projekt nicht beendet. Als nächstes muss durch den Jianshan Berg, der genau im Weg des geplanten Kanals liegt, ein Durchbruch geschaffen werden. Ohne Sprengstoff, der damals noch nicht erfunden ist, stellt dies ein mühsames Unterfangen dar. Doch auch hier hat Li Bing eine gute Idee: Das Gestein wird zuerst mit Feuer erhitzt und sodann mit kaltem Flusswasser abgekühlt. Dadurch wird es spröde und bekommt Risse, wodurch es wesentlich leichter zu bearbeiten ist. Hätte das Unternehmen ohne diese Methode circa dreißig Jahre in Anspruch genommen, so dauert es jetzt „nur“ elf Jahre bis der 20m breite Bruch durch den Berg geschaffen ist, den die Bewohner BAOPINGKOU (宝瓶口 „wertvoller Flaschenhals“) nennen.

Der wertvolle Flaschenhals Der wertvolle Flaschenhals

Damit das System gänzlich von selbst operieren kann, werden zuletzt noch zwei kleinere Kanäle zwischen innerem und äußerem Fluss gegraben, die Sand, Steine und anderes Schwemmmaterial in den äußeren Fluss abtransportieren und so ein Verstopfen des Bewässerungskanals verhindern. Auf diese Weise erreichte man, dass tatsächlich nur 2% des Schwemmmaterials in den Kanal gelangt, das während der Trockenperiode leicht entfernt werden kann.

Die große Bedeutung von Dujiangyan

Nach der Fertigstellung des Bewässerungsprojektes Dujiangyan im Jahr 256 v.Chr. entwickelt sich Sichuan rasch zur Kornkammer Chinas. Weder Hungersnöte noch Überschwemmungen plagen seine Bewohner und es produziert genügend Nahrungsmittel um andere Gebiete mitzuernähren. Dies erweist sich schließlich als entscheidender Vorteil des Staates von Qin. Im Jahr 221 v.Chr. unterwirft der Herrscher Qin Shi Huangdi seinen letzten Opponenten und legt damit das Fundament des heutigen „China“, dessen Name nicht von ungefähr eine Hommage an „Qin“ ist.

Doch während die Qin-Dynastie sich nicht lange an der Macht halten kann, spielt Dujiangyan während der kommenden zwei Jahrtausende eine ungebrochen wichtige Rolle für die Bewohner Chinas. Noch heute sorgt dieses kongeniale Projekt für die Bewässerung von über 660.000 Hektar Land, und einst ließen es die chinesischen Herrscher sogar von Soldaten schützen, da sie Hungersnöte ebenso fürchteten wie die damit einhergehenden Aufstände.

Die Bedeutung von Dujiangyan kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden und so verwundert es nicht, dass bereits Marco Polo diesen Ort besucht und darüber geschrieben hat. Auch Mao Zedong war hier und viele Staats- und Regierungsoberhäupter aus dem In- und Ausland haben Dujiangyan ihre Aufwartung gemacht. Dass es mittlerweile zum Weltkulturerbe zählt versteht sich fast schon von selbst.

Das vorläufig letzte Kapitel

 Modernisierung hat sich auch hier durchgesetzt - die heutige Inselspitze aus Beton Modernisierung hat sich auch hier durchgesetzt - die heutige Inselspitze aus Beton

Auch in Dujiangyan hat sich die Modernisierung durchgesetzt. Die alten Bambuskäfige wurden durch Betonmauern ersetzt, Schleusen sorgen für die Kanalisierung des Wassers und die Beseitigung des Schwemmmaterials im Kanal erledigen nicht mehr starke Männer sondern Maschinen.

Im Zuge dieser Umbauarbeiten wurden in den Jahren 1974 und 1975 zwei Steinstatuen aus dem Flussbett gehoben. Sie stammen aus der Han-Dynastie (206 v.Chr. – 220 n.Chr.) und stellen, laut Inschrift, einen Arbeiter und Li Bing selbst dar. Als magischer Schutzheiliger wurde die Statue Li Bings im Fluss beerdigt, damit er für alle Zeiten über Dujiangyan wache.

Und dies hat sich bis heute nicht geändert: Der geniale Gouverneur Li Bing wird noch immer in höchsten Ehren gehalten. Zur Feier seines Geburtstages strömen abertausende Menschen in den Erwang-Tempel oberhalb der Wasserscheide, wo Li Bing als Heiliger verehrt wird. Es ist nicht vergessen, dass er Entscheidenderes für China getan hat als so mancher Feldherr.

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