Reisen in China ist abenteuerlich. Nicht nur die zu besuchenden Orte allein, sondern auch die Fahrten dazwischen tragen maßgeblich zu einem unvergesslichen Erlebnis bei. Ob per Fahrrad, zu Fuß, mit Schiff oder Bahn, alle Arten der Fortbewegung haben in China ihre ganz besondere Charakteristik.
In einem Land das so riesig ist wie China muss es notwendig viele Möglichkeiten geben, um von A nach B zu gelangen. Die populärste und einfachste der Fortbewegungsmethoden ist bei vielen zugleich die unbeliebteste, denn sie ist sowohl langsam, als auch mit körperlichem Aufwand verbunden. Um das Gehen auf zwei Beinen zu beschleunigen bzw. zu reduzieren, werden daher weder Kosten noch Mühen gescheut. Stufen, Rolltreppen und Lifte sind die Standardlösungen der Moderne auf das Problem der „körperlichen Überanstrengung“.
Die nächsthöhere Stufe der Fortbewegung ist das für China einst charakteristische „Fahrrad“. Während der Name dieser Fortbewegungsmaschine in Europa noch immer als Imperativ verstanden wird („Fahr! Rad!“), sind die Chinesen zu einer adjektivischen Interpretation übergegangen (das „fahrende Rad“). Mit dieser Differenzierung einhergehend erfolgte der Austausch der Pedale gegen eine elektrische Batterie, welche jegliche körperliche Anstrengung des Benutzers obsolet macht. Die elektrischen Räder sind nicht nur bequem, sondern auch völlig geräuschlos, was unter dem Aspekt der Lärmbelastung ein besonderer Pluspunkt ist.
In Sachen Abgas müssen natürlich auch Personenkraftwagen erwähnt werden, von denen es von Tag zu Tag mehr auf Chinas Straßen gibt. Allein in Beijing werden täglich 1000 Neuzulassungen ausgestellt, wobei man sich in Anbetracht der ohnehin schon krassen Verkehrssituation (vom Smog ganz zu schweigen) fragen muss, wie das überhaupt möglich ist. Die Stadtregierungen haben daher zur Auslastung die PKW-Nutzung je nach Nummernschild sukzessiv auf gerade bzw. ungerade Kalendertage eingeschränkt.
Doch in den chinesischen Städten, vor allem in Metropolen wie Shanghai oder Beijing, ist das U-Bahn System gut ausgebaut und wird laufend erweitert. Auch in anderen Großstädten Chinas sind öffentliche Verkehrsmittel unter den meist genutzten Transportmöglichkeiten.
Auch das Schiff darf als Fortbewegungsmittel nicht unerwähnt bleiben. Ob im städtischen Park mit Paddel oder Elektromotor, mit dem Schnellboot von einer Insel Hongkongs zur andern, ob einst über tausende Kilometer entlang des Großen Kanals oder heute auf einem Passagierdampfer durch die drei Schluchten, ob als Fischer auf einem rustikalen Einbaum oder auf Xiamens Fähre nach Gulangyu – Bootfahren ist eine Sache die in China nicht erst erfunden werden muss und sich großer Beliebtheit erfreut.
Besonders angenehm ist dabei die Sanftheit und Langsamkeit der Fortbewegung, ein Umstand den viele Reisende an Bord zu ausgesprochen kindischen Unterhaltungsmethoden greifen lässt, andere wiederum erst gar nicht zum Besteigen eines Schiffes motiviert.
Besonders frustrierend sind jene Erlebnisse, bei denen man eine Stunde und mehr in der Schlange steht, endlich an den Schalter kommt und motiviert sein in der Zwischenzeit memoriertes Sprüchlein aufsagt (Zugklasse XY nach… am… um…), nur um mit einem knappen MEIYOU, der Information, dass das Ticket bereits ausverkauft ist, unverrichteter Dinge wieder abziehen zu können. Umso erfreulicher ist hingegen das Erfolgserlebnis, wenn man sich, triumphierend das pinkfarbene Ticket in Händen haltend, in der Wartehalle wiederfindet. Doch Ticket ist nicht gleich Ticket. Es gibt mehrere Klassen, vom „weichen Schlafwagen“ über „harte Sitze“ bis hin zu WUZUO (无座).
Aus Erfahrung muss ich aber auch sagen, dass die billigen Klassen die unterhaltsamsten sind. Wo man gezwungenermaßen im intensivsten Körperkontakt mit den Mitreisenden ist, fallen auch schnell alle möglichen inneren Barrieren. So findet man sich beimSchachspiel auf dem Boden vor dem Zugklowieder, in einer Gruppe heftiger Qualmer auf einem Berg von Reissäcken sitzend, beim gemeinschaftlichen Sonnenblumenkernknacken, in einem spontanen Live-Konzert eines flötespielenden Jungen, oder auch einfach nur beim Beantworten der immer gleichen Frage – „Where are you from?“
Beschaulicher geht es hingegen in den Liegewagen zu. Auch hier wird man nicht umhin kommen, die Identität seines Heimatlandes zu offenbaren, aber man kann auch für sich alleine auf der Schlafpritsche liegen und aus dem Fenster träumen – mit Musik im Ohr die Landschaft vorbeiziehen sehen.
Um Punkt zehn Uhr abends werden die Lichter gelöscht. Man schließt die Augen und das sanfte Ruckeln des Wagen vermittelt Gewissheit: Man ist unterwegs. In China.