Chinatours Reise-Blog

Kein Berg wie jeder andere: Taishan

Geschrieben von China Tours | Jul 9, 2013 1:32:00 PM

Konfuzius, der erste Kaiser von China und Mao Zedong, sie alle kamen hierher im Namen einer über Jahrtausende ungebrochenen Tradition. In der Provinz Shandong, im Osten Chinas, erhebt sich auf eine Höhe von 1.545m der Berg Taishan. Auf einer über 6.000 Stufen zählenden Stiege kann man noch heute in den Fußstapfen von Chinas größten Staatsmännern, Dichtern und Gelehrten wandeln.

Stufe um Stufe windet sich der Pfad zum Gipfel des Tai-Berges (泰山, Taishan) empor. Trotz der frühen Morgenstunden sind bereits zahlreiche Menschen unterwegs. Nicht nur Touristen, auch Einheimische sind darunter, die an langen Bambusstangen Lebensmittel und andere Bedarfsgüter nach oben transportieren. Einer von ihnen, klein und schmächtig gebaut wie die meisten, balanciert gar zwei Propangasflaschen für die Gasherde des Bergrestaurants – mit einem Gewicht von je über 20kg.

Von ganz unten nach ganz oben sind es 6.293 Stufen, mit denen der Taishan jährlich über 6 Millionen Besucher anlockt. Damit zählt er zu den meistbestiegenen Bergen der Welt. Und das nicht erst seit vorgestern. Schon mehr als 3.000 Jahre lang zieht es die Pilger aus allen Ecken des Landes hierher.

Eine sagenumwobene Vergangenheit

Bereits zur Zeit der Shang-Dynastie (1700-1100 v.u.Z.) kennt man den Taishan als heiligen Ort der Verehrung. Sein Name, der „friedliche Berg“, stammt aus einer Zeit vor der Einigung Chinas. In der die streitenden Kleinreiche um die Vorherrschaft in China kämpften. Wenn der Taishan befriedet ist, so hieß es, dann wird das Land befriedet sein. So verwundert es nicht, dass Chinas erster Kaiser, der legendäre Qin Shi Huangdi, bei einer Gipfelzeremonie im Jahr 219 v.u.Z., von hier aus die Einheit seines Reiches, dem zukünftigen China, verkündete.

In den Jahrhunderten zuvor, zur Zeit der Zhou-Dynastie (1050-256 v.u.Z.), bildete der Taishan die natürliche Grenze zwischen den Staaten Lu und Qi. Deren Machthaber unabhängig voneinander dem Berg ihre Verehrung entgegenbrachten. In dieser Zeit entwickelte sich jener offizielle Ritus der „Fengshan-Opfer“, welcher bis zum Ende des Kaiserreiches im Jahr 1911 beibehalten werden sollte: Am Fuße des Berges huldigten die Kaiser der Erde, am Gipfel wurden Lebensmittel und Jadeobjekte vergraben, um den Himmel zu würdigen. Insgesamt 72 Kaiser sollen es gewesen sein, die den Taishan mit ihrer Präsenz beehrten, und ganz entgegen seiner anti-traditionellen Doktrin bestieg selbst Mao Zedong diesen heiligen Gipfel.

Doch nicht nur Staatsmänner, auch viele Gelehrte, Dichter und Künstler zog der Taishan in seinen Bann. Darunter der große Konfuzius, ein Sohn des Staates Lu. Er soll den Taishan erklommen und von seinem Gipfel aus proklamiert haben: „Die Welt ist klein.“

Zwischen Tradition und Moderne

Eine besondere Blütezeit erlebte die kultische Praxis am Taishan unter der Herrschaft des Han-Kaisers Wu Di (156-87 v.u.Z.). Auf sein Geheiß wurde am Fuße des Berges das Dai Miaoerrichtet, der bis heute wichtigste Gebäudekomplex unter den vielen Tempeln, die es hier zu finden gibt. Seine Haupthalle, in welcher der Erde die „Shangopfer“ dargebracht wurden, ist seit dem Jahr 1008 erhalten geblieben. Auch die berühmten „Han-Dynastie-Zypressen“, welche das Dai Miao malerisch umgeben, wurden im Auftrag von Wu Di vor über 2100 Jahren gepflanzt.

Von hier aus startet der 9km lange Aufstieg zum Gipfel. Durch das „Rote Tor“ gelangt man nach einigen hundert Metern zum obligatorischen Ticket Office. Wo die endlos scheinende Reihe der Souvenirstände endet und die Natur beginnt. Lediglich ein paar einfache Hütten sind noch auf der gegenüberliegenden Seite eines kleinen Flusses zu sehen. An dessen Ufer die Einheimischen ihre Wäsche waschen. Der Weg klettert nach oben, unter Steinbögen, Toren und einem riesigen umgekippten Baumstamm hindurch; vorbei an den Ersten der über 1000 Felsinschriften, 97 Ruinen und 22 taoistischen und buddhistischen Tempeln des Berges.

Aufstieg mit Einbruch der Dunkelheit

Doch wer wie ich den Aufstieg zur Hauptsaison unternimmt, wird von den vielen Sehenswürdigkeiten und der beschaulichen Landschaft vorerst nicht viel mitbekommen. Aufgrund der großen Hitze und der Horden von Touristen, welche tagsüber den Berg stürmen, empfiehlt es sich nämlich, den Aufstieg mit Einbruch der Dunkelheit anzugehen. Wenn im Kegel der eigenen Taschenlampe meist nicht viel mehr als Stufen über Stufen zu sehen sind, entschädigt dafür die friedliche Atmosphäre. Die nächtlich im Kerzenlicht schimmernden Tempel rücken den Traum vom „mystischen China“ in greifbare Nähe. Und die eine oder andere mit bunten Lichterketten umrandete Stele, gibt ein eindrucksvolles Bild des typisch chinesischen Spagats einer jahrtausendealten Tradition im modernen Gewand.

Wem eine Nachtwanderung jedoch zu gefährlich erscheint, für den empfiehlt sich der Aufstieg in kühleren Monaten der Nebensaison, wie z.B. der November.

                    

                    

                    

                   

                    

                    

Aufstieg zum Gipfel

Es ist Mitternacht. In dem kleinen Teehaus, das auf zwei Drittel des Weges liegt, versammeln sich die nach und nach eintreffenden Nachtwanderer. Man vertreibt sich die Zeit mit Kartenspielen und dem Austausch von Geschichten. Manch einer hat sich zum Schlafen in eine Ecke verkrochen, um Kraft zu tanken für das letzte und steilste Wegstück zum Gipfel.

Kurz nach vier Uhr beginnt der Aufbruch. Vereinzelte Grüppchen machen sich auf den Weg, um rechtzeitig zum Sonnenaufgang oben zu sein. Entlang des Weges leuchten die Kegel ihrer Taschenlampen durch die Nacht. Stufen, Stufen, nichts als Stufen sind zu sehen, die zwischen imposanten Felsklippen dem finalen „Südlichen Himmelstor“ entgegen streben. Müden Schrittes steigen die Wanderer voran, bemüht auf der steilen Stiege nicht zu stolpern.Jiayou (加油), feuern sie sich gegenseitig an, kuai jiu dao le (快就到了, wir sind gleich da), nachdem eine Markierung im Stein verrät, dass man sich bereits auf 1.400m Seehöhe befindet. Nur noch 145m sind es bis zum „Gipfel des Jadekaisers“.

Im Dämmerlicht trudeln sie ein: erschöpfte Nachtwanderer und schlaftrunkene Frühaufsteher, die die Nacht in einer der rustikalen Unterkünfte am Berg verbracht haben. Auf den Felszinnen lassen sie sich nieder und blicken schweigend gen Osten. Viele tragen ausrangierte Armeemäntel, welche allerorts für einen Obolus verliehen werden. Kalt pfeift der Wind, sehnsüchtiges Warten auf die Sonne.

„Einem heilligen Berg Refenrenz ersweisen“

Sie sind nicht die einzigen, die an diesem Morgen auf ausgesetztem Posten der Sonne harren. China hat unzählige heilige Berge, deren Besteigung seit jeher Tradition und neuerdings auch eine Art Volkssport geworden ist. Der chinesische Ausdruck für „eine Pilgerreise machen“ (朝圣 chaosheng) leitet sich unmittelbar von dem Begriff „einem heiligen Berg Referenz erweisen“ (朝拜圣山 chaobai shengshan) ab. Neben den vier buddhistischen und den vier taoistischen Bergen, gelten vor allem die „Fünf Großartigen“ als Krönung des chinesischen Gebirgspantheons.

Der Legende nach sind diese fünf Berge der Kopf und die vier Glieder von Pangu (盘古), dem allerersten Lebewesen und Schöpfer von Erde (阴 YIN) und Himmel (阳 YANG). Dieser opferte sich selbst, damit sein Atem zu Wind, seine Stimme zu Donner, seine Augen zu Sonne und Mond, sein Blut zu Flüssen, seine Zähne und Knochen zu Metall, sein Speichel zu Regen, sein Haar zu Pflanzen, das an ihm haftende Ungeziefer zu Menschen, und sein Leib zu den vier Polen und eben den fünf Gebirgen würde.

Die Fünf Himmelsrichtungen

Traditioneller Weise ordnet man die fünf Berge auch den fünf Himmelsrichtungen zu, wobei in China neben Norden, Süden, Osten und Westen, die Mitte als fünftes Orientierungsmerkmal gilt. Es handelt sich dabei um Hengshan im Süden (Provinz Hunan), Huashan im Westen (Shaanxi), Hengshan im Norden (Shanxi) und Songshan in der Mitte (Henan). Der Taishan (Shandong) liegt im Osten und wird mit Sonnenaufgang, sowie mit Geburt und Erneuerung assoziiert.

Das Wesen des Berges

An diesem Morgen wird der Taishan seinem Attribut nicht gerecht: Dichte Wolken versperren die Sicht auf den Sonnenaufgang. Enttäuscht machen sich die Nachtwanderer im grauen Licht des Tages an den Abstieg. Mit ihnen verlässt auch die meditative Stille den Gipfel des Berges. Denn nun nimmt die Seilbahn den Betrieb auf und spuckt ladungsweise Touristengruppen aus. Nicht nur der Gipfel verwandelt sich schlagartig in ein lärmendes Gedränge, auch auf der des Nachts so einsamen Stiege wimmeln plötzlich die Menschenmassen. Schwitzend bewegen sie sich vorwärts, oder verharren keuchend auf Treppenabsätzen.Den schwer bepackten Lastenträgern, die sie mit stoischer Ruhe überholen, staunende Blicke zuzuwerfen.

Trotz des ausgebliebenen Sonnenaufgangs freut sich nun doch, wer den Aufstieg im Dunkeln unternommen hat. Denn während des Abstiegs kann genossen werden, was der nächtliche Schleier verhüllte: Wie ein grüner Teppich liegt das Tal ausgebreitet. Von den Felswänden strahlen in roter Farbe die riesigen Schriftzeichen, welche vor Unzeiten hier eingemeißelt wurden und am Wegesrand thronen dunkel die knorrigen Bäume. In Kombination mit der Erfahrung des beschaulichen Nachtaufstiegs, ergibt sich insgesamt eine Erinnerung. Jene werden die Seilbahnfahrer und Tageswanderer wohl kaum mit nach Hause nehmen. Und wer auf einem abgeschiedenen Seitenpfad die Füße zur Erfrischung ins kühlen Nass eines Baches taucht, der könnte letztlich doch noch bewahrheitet finden, was seit Jahrtausenden von diesem Taishan behauptet wird: Ein Gefühl der Erneuerung macht sich breit.

Informationen

Der Taishan kann ganzjährig besucht werden.Eintrittspreis Feb-Nov: 125Yuan; Dez-Jan: 100Yuan.Insgesamt gibt es drei verschiedene Aufstiegsrouten; aus Zeitgründen oder um die Knie zu schonen, kann der Gipfel auch ohne Treppensteigen mit Bus und Seilbahn erreicht werden.

Die Anreise erfolgt über das Städtchen Tai’an am Fuße des Taishan. Von Beijing benötigt man mit dem Zug ca. 7-10h (4h mit D-Zug); von Shanghai ca. 8-14h (7h D-Zug).

Nur einen Katzensprung von Tai’an entfernt liegt Qufu, der Geburtsort von Konfuzius. Hier zu sehen sind der Konfuziustempel sowie das Wohnhaus der Familie Kong.