Monika Obrist hat mit uns China besucht und schildert in einem Reisebericht ihre vielen Eindrücke.
Von Monika Obrist
Die überraschendsten Momente auf einer Reise sind jene Entdeckungen, auf welche die Reiseliteratur nicht vorbereitet hat. Meine Rundreise „China zu Land und zu Wasser“ war voll davon – schon am ersten Tag.
Ein endloses Häusermeer liegt unter einer Glocke von Dunst und Smog. Mein erster Eindruck von Peking ist ein trüber. Die einzigen blauen Farbtupfer, die ich vom Flieger aus entdecke, sind Wellblechdächer. Erste Zweifel beschleichen mich: Deine erste Stadt mit 18 Millionen. Wie wird das werden?
Ein trotz nachtschlafender Zeit gut gelaunter Hao Lei, unser Reiseleiter, erwartet uns am Flughafen. Es ist vor sechs Uhr morgens. Die Uhr habe ich irgendwo über den Weiten Russlands umgestellt und mir von da an ein Umrechnen auf mitteleuropäische Zeit verboten. Unsere Gruppe von 14 Personen beäugt sich kurz, bevor wir in den Bus steigen. Kein Fenster lässt sich öffnen. Wozu auch? „Frischluft“ bedeutet Klimaanlage. Daran muss ich mich in den nächsten Tagen gewöhnen.
Auf der Fahrt Richtung Sommerpalast stellt sich unser Reiseleiter vor, der seinem Nachnamen Hao – zu Deutsch „gut“ – mehr als gerecht wird. Er kümmert sich nicht nur um unsere unvergesslichen China-Erlebnisse, sondern sorgt sich auch um die Sicherheit unseres wichtigsten Mitbringsels (der Reisepass!) – und um unsere Gesundheit. Vor allem denkt er auch unaufgefordert an unsere „Harmoniebedürfnisse“. Die deutsche Sprache kennt für den stillen Ort menschlichen Grundbedürfnisses nicht einmal ein eigenes Wort: „Toilette“ ist Französisch, „WC“ und „Klosett“ kommen vom englischen „water closet“, „Abort“ erinnert an Fehlgeburt, „Abtritt“ sagt kein Mensch mehr und „00“ klingt nicht nach Sprache, sondern nach Mathematik. In China angekommen finde ich nun endlich mein deutsches Wort dafür: Harmoniehalle! Kann man den Gang zur Toilette schöner umschreiben als mit „Harmoniepause“? In China scheint man ein weniger verkrampftes Verhältnis zu menschlichen Grundbedürfnissen zu haben. Schnell fallen mir die Kleinkinder auf, die für den Fall der Fälle Hosen mit Schlitz statt Windeln tragen. Wie praktisch! Und Gott sei Dank haben die babysittenden Großeltern in China offensichtlich mehr Sinn für Sauberkeit auf den Straßen als so mancher europäische Hundebesitzer!
Obwohl es noch früh ist, sind die Gärten des Sommerpalastes belebt. Die älteren Bewohner der Stadt üben sich in Qigong und Tai Chi, tanzen oder balancieren Bälle auf Badmintonschlägern. Sich morgens oder auch abends zur körperlichen Ertüchtigung im Park zu treffen, das sollte man nach Europa importieren! Aber ich fürchte, viel eher wird die westliche Freizeitindustrie auch die Chinesen davon überzeugen, dass Trendsport schick und teuer zu sein hat, und nicht öffentlich und gratis. Auch etliche chinesische Touristengruppen sind schon so früh unterwegs, angetrieben von jungen Reiseleitern mit nervig lauten Mikrofonen. Gott sei Dank bleibt uns das erspart! Der Kunming-See strahlt trotzdem Ruhe aus. Die einzelnen Hallen des Sommerpalastes verzaubern nicht nur durch ihre Architektur, sondern auch durch ihre Namen: Halle der Jadewellen, Pavillon des buddhistischen Wohlgeruchs, Garten der Tugend und Harmonie … Langes Leben verspricht die 728 Meter lange Wandelhalle. Folglich haben wir sie nicht für uns allein. Ein langes Leben, Gesundheit und Reichtum, das wünscht sich der Chinese von heute, erklärt uns Hao. Mit roten Lampions, winkenden Katzen, Fischen auf Tellern, Spruchbändern an der Tür und vielem mehr zeigt ein Chinese, was er sich wünscht. Und gegen das, was man sich nicht wünscht, helfen Drachen, Löwen, Spiegel usw. Oder auch nicht: Als wir zum Bus zurückkehren begegnet uns ein Trupp gut gesicherter Polizisten. Sie schreiten zur Zwangsräumung von Häusern, die neuen Bauten weichen sollen.
Nach dem Mittagessen und dem Einchecken im Hotel haben wir frei. Ich will mir in einem der Geschäfte in der näheren Umgebung Obst besorgen und mache auf dem Weg dorthin meine ersten Allein-Erfahrungen mit Chinas Verkehr. Die Fußgängerampel leuchtet grün, doch kein Auto bleibt stehen. Das wird so sein wie in Süditalien, denke ich mir, also: Einfach auf mein Recht beharren und los! Ich fluche, gestikuliere, deute auf die grüne Ampel und bahne mir den Weg über die Straße. Mit Erfolg. Erst in den nächsten Tagen wird mir mein Fauxpas bewusst. Chinesen fluchen und gestikulieren nicht, sondern warten auch bei Grün brav, bis alle Autos vorbei sind und überqueren erst dann möglichst im Kollektiv die Straße. Nun gut, ich habe meine erste Kreuzung in Peking trotzdem heil überstanden und den Chinesen wohl ein unvergessliches Spektakel an touristischem Temperament geboten. Im Obst- und Gemüseladen wartet die nächste kulturelle Hürde auf mich. Eine Verkäuferin eilt mir mit einem Messer zu Hilfe, als ich mir ein paar Bananen von einem großen Büschel abbrechen will. Als ich ihr mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger die Zahl drei zeige, schaut sie mich verwundert an. Ach ja, wie war das noch mit dem Zahlenzeigen auf Chinesisch? Ich habe es vergessen. Mit viel Lächeln auf beiden Seiten bekommen wir es schließlich hin.
Für den Abend hat Hao Karten für eine Kungfu-Show für uns organisiert. Kungfu kenne ich nur aus Action-Filmen, die mich jedenfalls nicht nach China gelockt haben. Aber wenn man schon hier ist, sollte man sich auch mit Kungfu beschäftigen, sage ich mir und komme mit. Der Abend wird zur wunderbaren Überraschung. Kein anstrengendes Kämpfen und Kreischen erwartet mich, sondern eine faszinierende Mischung aus Musical, Tanz-Performance, Lichtershow und Kampfkunst. Erzählt wird die Geschichte eines kleinen Mönchs vom Eintritt ins Kloster bis zur Erleuchtung als Kungfu-Meister. Die größte Überraschung ist für mich, dass chinesische Musik so schön sein kann! Die chinesische Körperbeherrschung war mir schon immer unerklärlich. Auf der Rückfahrt ins Hotel überreicht uns Hao noch eine Gute-Nacht-Geschichte. Ein Geschenk zum 15-Jahre-Jubiläum von China Tours. Es ist die Geschichte von Liang Shanbo und Zhu Yingtai – sozusagen Romeo und Julia auf Chinesisch. Doch während William Shakespeare wohl nie gewagt hätte, seinen unglücklich Verliebten zumindest ein glückliches Wiedersehen im Himmel anzudichten, finden Shanbo und Yingtai im nächsten Leben als Schmetterlinge für immer zueinander. Der buddhistische Glaube an die Wiedergeburt ist doch manchmal tröstlicher als der christliche Glaube ans Jenseits, zumindest in der Literatur.
„Mein erster Eindruck von Peking aus dem Flugzeug war grau, aber der Tag war ganz schön bunt“, schreibe ich an meinem ersten Abend in China in mein Notizheft. Als schönstes neues Wort landet „Harmoniehalle“ in meinen Notizen. Es werden mit „Kinderpalast“ für Gebärmutter oder „lachende Punkte“ für kitzelige Körperstellen in den nächsten Tagen noch einige unvergessliche Wörter dort landen. Deutsche Sprache „made in China“ ist einfach Poesie! Wie muss da erst Chinesisch sein?
Meine Begegnungen mit den Schönheiten des Landes und auch meine kleinen Entdeckungen am Rande waren in den folgenden Wochen im Reich der Mitte so spannend, dass ich sicher wiederkommen werde, sofern Gott und Buddha wollen. „Jeder Tag ist ein neuer Anfang“ – erst recht in China! Aber was eine Reise zur gelungenen Reise macht, sind immer die Menschen, mit denen man sie teilt und denen man begegnet. Daher danke ich der netten Reisegruppe, die vom 23. Mai bis zum 9. Juni 2013 mit mir auf der Tour „China zu Land und zu Wasser“ unterwegs war, und vor allem unserem Reiseleiter Hao Lei, der uns wie ein guter Freund begleitet hat. Und was ich mir vor der nächsten China-Reise vorgenommen habe: zumindest ein bisschen Chinesisch lernen!
In diesem Sinne:再见 中国! Zái jiàn zhōng guó! Auf Wiedersehen, China!
Der China Reisebericht hat Ihre Reiselust geweckt? Hier gibt es alle Informationen zu der Reise China zu Land und zu Wasser: http://www.chinatours.de/reise/28-china-zu-land-und-zu-wasser/
Wenn Sie sich nicht nur für Reisen nach China interessieren, sondern mehr ein Weltenbummler sind, dann sind Reiseberichte aus aller Welt wahrscheinlich für Sie besonders interessant. Viele persönliche Reiseberichte aus der ganzen Welt können Sie hier finden. Vielleicht können Sie hier den ein oder anderen wertvollen Tipp für Ihre nächste große Reise ergattern. Viel Spaß beim Lesen!