Die studierte Sinologin Susanne Brudermüller ist seit 1982 immer wieder in China unterwegs. In diesem Reisebericht erzählt sie von ihrem Besuch auf dem Antiquitätenmarkt in Shanghai.
Die Dongtailu war nicht weit von der Xizanglu, der Tibetstraße, entfernt und von unserem Hotel gut zu Fuß zu erreichen. Shanghai Dongtai Road Antique Market stand da auf Englisch auf einem Banner. Das Chinesische darunter. Der Antiquitätenmarkt war also auf Ausländer eingestellt. Wir waren nach dem Frühstück mit Rucksack und Kameras losgezogen. Der Markt wirkte verschlafen, einige Stände hatten noch geschlossen. Ganz allmählich machten sich die Händler daran, ihre Stände zu öffnen. Das war nun wahrhaftig das Gegenteil von Pudong, dem Wirtschafts- und High-Tech-Bezirk Shanghais, wo Geschäftsleute im Eiltempo unterwegs sind.
Das gemächliche Tempo auf dem Antiquitätenmarkt übertrug sich auch auf uns. Blauweiße Porzellanschalen, chinesische Möbel im Miniformat für Puppenstuben neben einer Schildkröte aus Jade. Standen da nicht zwei Plastikfüße mit den Akupunkturpunkten? Unzählige Buddha- und Bodhisattva-Figuren aus Holz oder Stein. Bei näherem Hinsehen entdeckte ich die ganze Vielfalt der Figuren. Zum Beispiel Guanyin, eine Art chinesische Muttergottes. Sie kommt ursprünglich aus Indien und war ein Mann, bevor sie chinesisch assimiliert, zur Göttin wurde und in allen Lebenslagen um Unterstützung und gutes Gelingen gebeten wird.
Ich wusste nicht, wohin ich zuerst schauen sollte. Da hingen riesengroße Kalligrafie-Pinsel aus Ziegen-, Schafs- und Wolfshaaren und mit Griffen aus geschnitzter Jade oder Porzellanperlen. Auf einem wackligen Holztisch waren Setzkästen mit den „Lettern“ chinesischer Schriftzeichen aufgebaut. Wie gern hätte ich sie gekauft. Die winzigkleinen Drucktypen erinnerten mich an chinesische Schreibmaschinen. Eine chinesische Sekretärin musste gut Bescheid wissen, wo welches Schriftzeichen in den Kästen mit den 6000 Zeichen zu finden war. Was für eine Entwicklung! Heute kann sie mit jedem Computer Chinesisch schreiben.
Vorbei an Vogelkäfigen aus Bambus, Militärspielzeug, bunten Blechdosen mit chinesischen Schriftzeichen darauf, die schlicht „Keksmischung“ bedeuteten. Berge chinesischer Koffer neben Kriegern der Terrakotta-Armee in Stein. Oder war es gar Gips? Dieser Antiquitätenmarkt, besser gesagt Flohmarkt, machte uns richtig Spaß, weil er uns noch so ursprünglich vorkam. Wir hatten auf unserer Reise schon genügend Shoppingmeilen und chinesische Massenware gesehen.
Ob die Jadefiguren, Steinlöwen, antiken Münzen wirklich alt waren, ließ sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Immerhin waren die dicken Staubschichten alt. Ein Händler pries gerade eine sehr bunte Porzellanvase als qing-zeitlich an. Das konnte immerhin sein. Und von der Qing-Dynastie haben Ausländer wohl auch schon gehört, mag er sich gedacht haben. Bestimmt sind unter all dem Nippes und Trödel auch Dinge zu finden, die tatsächlich aus Chinas Vergangenheit stammen.
Ein kleiner Buddha würde sich in unserer Wohnung bestimmt gut machen – kam uns in den Sinn. Jetzt hatten wir also auch ein Objekt, nach dem wir suchten. Sicher kein Problem. Statt Buddha fanden wir Mao. Die Buddhas hatten sich an den ersten Ständen konzentriert. Mao-Porzellanfiguren, Verkaufsständer mit Mao-Buttons. Ich kannte die Anstecker noch aus den 80-er Jahren. Da waren sie an chinesischen Jacken noch weit verbreitet.
Das Konterfei von Mao auf Pappschachteln und auf kommunistisch-roten Blechschildern - problemlos schien sich Mao zwischen mythischen Drachen- und knalligen Götterfiguren, wie sie im Großformat in konfuzianischen und taoistischen Tempeln anzutreffen sind, einzureihen. Der Mao-Kitsch kannte keine Grenzen: Mao-Bildnisse und Parolen als Dekor eines revolutionären Teeservices! Aus dem großen Vorsitzenden ist „Chinas König des Kitsches“ geworden. Für die Händler einerlei – sie wollen verkaufen.
Wenige Besucher tummelten sich auf dem Markt, kaum Ausländer. Chinesen unter sich, ins Schachspiel vertieft oder beim Mah-Jongg. An einem der vielen Stände – über 100 sollen es sein –entdeckte ich eine der seltenen großen Porzellanschüsseln. Dass eine Porzellanschüssel in einem Chinarestaurant als Waschbecken verwendet wurde, hatte mir als Idee gefallen. Ich wollte wenigstens nach dem Preis fragen. Im Laden lachte dann der Buddha aus dem Regal. Genau den wollten wir haben. Mit dickem nacktem Bauch und übergroßem Bauchnabel saß er auf einer Art Kissen, mit langen Ohrläppchen bis auf die Schultern. Um den Hals und in der linken Hand eine Kette. Der Händler holte den Buddha vom Regal. Ob er tatsächlich aus Holz war? Ich fragte den Händler, der dies selbstverständlich bestätigte. Hätte er Plastik geantwortet, wäre das Geschäft sicher nicht zustandegekommen. Den Preis erfragt, wandten wir uns der Straße zu und signalisierten damit, dass wir den Buddha nicht kauften. Wir konnten den Buddha ja nicht mitnehmen, weil wir mit dem Flugzeug nach China gekommen waren.
Für den Händler war das kein Argument – wir sollten ihn doch einfach in den Rucksack packen. Das ginge unmöglich… Außerdem hatten wir in China noch weitere Ziele, bervor wir nach Deutschland zurückflogen. Schließlich ließen wir uns überzeugen. Uns war es dieser Buddha einfach wert, egal, ob er tatsächlich aus Holz war und ob wir ihn wirklich heimbringen würden. Mit dem Taxi fuhren wir zum Hotel zurück, damit wir den Buddha nicht den ganzen Tag über herumtragen mussten. Schwer war er ja nicht, aber doch ein wenig sperrig. Im Hotel hielten wir den verschmutzen Buddha kurzerhand unter das Wasser. Rötlich-braunes „Holz“ kam zum Vorschein. Würdevoll sitzt er zu unserer großen Freude nun in unserer Wohnung.
© Susanne Brudermüller M.A.