In Xi’an trafen vor über tausend Jahren die Küchen des Nahen Ostens und Chinas zusammen. Ein Rundgang durch das muslimische Viertel der Stadt kommt einer kulinarischen Reise entlang der Seidenstraße gleich.
Mit Entdeckung der Terrakotta-Armee 1974 wurde die ehemalige Kaiserstadt Xi’an über Nacht weltberühmt. Die knapp 40 km westlich der Stadt gelegene Grabanlage mit ihren 8000 lebensgroßen Tonsoldaten ist neben der großen Mauer und der Verbotenen Stadt, die wohl meistbesuchte historische Sehenswürdigkeit in China. Die Ausgrabungsstätte wird häufig sogar als das achte Weltwunder bezeichnet und entsprechend riesig ist die Zahl der Touristen, die Jahr für Jahr hierherkommen, um dieses unvergleichliche Kulturdenkmal mit eigenen Augen zu sehen. Doch Xi’an besitzt aufgrund seiner Vergangenheit am Ausgangs- und Endpunkt der Seidenstraße auch eine kulinarische Tradition, die weltweit Ihresgleichen sucht. Hier mischten sich Einflüsse aus der Küche des Nahen Ostens mit den Kochkünsten des traditionellen Chinas. Und während diese Tatsache im Ausland weit weniger bekannt ist, steht ein Besuch der Garküchen im muslimischen Viertel der Stadt ganz oben auf dem Besuchsprogramm vieler Chinesen.
Ab dem siebten Jahrhundert wurde in Xi‘an der Islam als Religion zugelassen und viele arabische und persische Händler ließen sich nach monatelanger Reise hier nieder und blieben. Bis heute bevölkern mehrere Zehntausend ihrer Nachkommen die Straßen nordöstlich des Trommel Turms (鼓楼 - gǔlóu), der den Eingang zum muslimischen Viertel markiert. Neben ihrer religiösen Tradition (Sie werden hier weder Alkohol noch Schweinefleisch finden) bewahrten die als Hui-Chinesen bezeichneten Moslems vor allem eines: Eine einfache, aber exzellente Essenskultur, die viele Chinesen ins Schwärmen geraten lässt.
Eine der bekanntesten Kreationen ist eine Suppe mit Hammelfleisch und ungesäuertem Fladenbrot (羊肉泡馍- yángròupāomó), die Sie schon für weniger als zwei Euro kaufen können. Nach der Bestellung erhalten Sie zunächst eine leere Schüssel mit zwei kleinen Fladenbroten. Diese brechen sie nun in möglichst kleine Stücke, wobei Sie sich viel Zeit nehmen sollten, denn je kleiner die Brotfetzen, desto besser werden Sie später den Geschmack der Suppe aufsaugen. Sobald Sie Ihre Fladen vorbereitet haben, reichen Sie die Schale dem Koch, der den Inhalt einige Minuten mit kräftiger Hammelbrühe aufkocht. Anschließen landet das aufgequollene Brot mit gehackten Kräutern, Glasnudeln und einigen Scheiben geschmortem Hammelfleisch wieder in Ihrer Schüssel. Hierzu werden süß-eingelegte Knoblauchzehen und eine milde Chili-Paste gereicht. Aber Vorsicht! Das Gericht ist überaus sättigend und falls Sie vorhaben noch weitere Spezialitäten des Viertels zu probieren, sollten Sie nur die Hälfte des Brotes zerkleinern, oder sich eine Portion teilen.
Eine weitere Spezialität der Hui sind Nudeln in allen Formen und Größen. Allen voran die sogenannten Biangbiang-Nudeln (biángbiángmiàn), die schon alleine aufgrund ihres Schriftzeichens hier Erwähnung verdienen. Das aus 58 Einzelstrichen bestehende Symbol ist eines der kompliziertesten, heute noch gebräuchlichen Zeichen der chinesischen Sprache. Angeblich bezieht sich das Wort “Biang“ auf den Klang, welchen die Nudeln verursachen, wenn sie während ihrer Herstellung immer wieder auf eine geölte Arbeitsplatte geklatscht werden. Die Nudeln aus Weizenmehl werden stets frisch auf Bestellung zubereitet. Hierzu wird ihr Teig zunächst flach ausgerollt und in drei bis vier Zentimeter breite Streifen geschnitten. Dann wird er zwischen beiden Händen in die Länge gezogen und immer wieder auf einen Metalltisch geschleudert, an dem Sie die entsprechenden Restaurants erkennen können. Zum Schluss werden die Nudeln in riesigen Töpfen bissfest gekocht und je nach Wunsch mit unterschiedlichen Sorten Fleisch, Tofu und Gemüse serviert. Gewürzt mit Sojasoße, Reisessig und feurigem Chili-Öl, stimuliert das Gericht wirklich alle Geschmacksnerven und ist unbedingt zu empfehlen!
Zwei weitere Besonderheiten der lokalen Küche dürften so manchen deutschen Besucher besonders erfreuen. Zum einen gibt es hier, anders als im dicht besiedelten Osten und Süden Chinas, eine große Auswahl ungesüßter Brote. Diese haben zwar wenig mit unserem Brot in Deutschland gemeinsam, sie sind deshalb aber nicht weniger lecker. Vor allem die dünnen, über offener Glut knusprig gebackenen Fladenbrote (馕 - náng) mit ihrem Bezug aus Sesam, passen hervorragend zu den saftigen Grillspießen, welche an jeder Ecke feilgeboten werden. Zum anderen gibt es in Xi‘an eine Art Bratkartoffeln (炸小土豆 - zháxiǎotǔdòu), die es locker mit jenen aus Deutschland aufnehmen können. Die sehr kleinen Knollen werden in einer flachen Wanne frittiert, bis sie außen knusprig und goldbraun sind. Danach werden sie unter anderem mit Chilipulver, Kreuzkümmel, Salz, Zucker, Knoblauch und Frühlingszwiebeln bestreut und mit einem Holzspießchen im Pappbecher serviert. Ich weiß nicht, ob es am Geschmack der Kartoffeln liegt oder ob es die Gewürze sind, aber für nur 65 Cent (5 Yuan) erhalten Sie hier einen Kartoffel-Snack, der mir schon beim Schreiben das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.
An den Süßspeisen der Hui zeigt sich ihre Verbindung zum Mittleren Osten besonders deutlich. Dabei spielen vor allem Datteln und getrocknete Nüsse eine zentrale Rolle. Eine der beliebtesten Leckereien sind süße und mit Safran gelb gefärbte Kuchen aus Klebereis (桂花糕 - guìhuāgāo). Die zähe Masse aus Reis, Zucker und Wasser wird mit Duftblütenextrakt verfeinert und in riesigen Sprungformen zum Erstarren gebracht. Anschließend wird der Kuchen mit Datteln belegt und mit Honigwasser bepinselt. In längliche Dreiecke geschnitten wird er wie ein Eis am Stiel verkauft. Die klebrig-zähe Konsistenz ist etwas gewöhnungsbedürftig und der Kuchen ist auch nicht besonders süß, doch für drei Yuan das Stück (40 Cent) können Sie hier nicht viel falsch machen.
Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch eine Süßigkeit der Hui vorstellen, die sich aufgrund ihrer Haltbarkeit und Form perfekt als Mitbringsel für Zuhause eignet. Hierzu wird kiloweise heißer Zucker immer wieder über einen Haken in die Länge gezogen, um ihn mit Luft zu durchmischen und so eine zähe, weiße Masse zu schaffen. Diese wird daraufhin auf einen Holzblock befördert und mit Erdnüssen vermischt. In schweißtreibender Arbeit wird der noch warme Klumpen dann so lange mit einem riesigen Holzhammer bearbeitet, bis der Zucker aushärtet. In Streifen und Blöcke geschnitten ähnelt das Naschwerk (花生糕 - huāshēnggāo) dem Spanischen Turrón, oder dem türkischen Halva, die ihren Ursprung ebenfalls in Zentralasien haben.
Tipp: Falls Sie keine Menschenmassen mögen, empfehle ich ihnen einen Besuch bis zum frühen Abend. Spätestens wenn sich nach dem Abendgebet die Moscheen leeren, platzen die engen Gassen aus allen Nähten und es wird schwer freie Tische zu finden.
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