Kaifeng: Aufstieg und Niedergang einer Metropole

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Auf den ersten Blick macht die 5 Millionen Einwohner Stadt Kaifeng keinen überwältigenden Eindruck. Doch diese Stadt hat es in sich, oder besser: unter sich. Aufgrund zahlreicher Überschwemmungen liegt 8 bis 9 Metter unter heutigem Straßenniveau begraben, was einst die größte Stadt der Welt gewesen ist.

Kaifeng (开封) liegt im Herzen der Provinz Henan, südlich des Gelben Flusses. Und wie das große Gewässer selbst, das die Geschichte der Stadt nachhaltig prägte, ist Kaifeng dem steten Fließen des Wandels unterworfen. Mehr als nur einmal erlebte die Stadt Aufstieg, Blüte und Niedergang, totale Zerstörung und neuerlichen Aufstieg. Nicht einmal ihr Name ist während ihrer über 2000-jährigen Geschichte derselbe geblieben. Während einer Chinareise hierher zu kommen, bedeutet eine feinsinnige Lektion über Vergänglichkeit.

Hauptstadt von fünf Dynastien

Erstmalig erwähnt, findet sich unter dem Namen Daliang (大梁) die Hauptstadt des Staates Wei, welche im vierten vorchristlichen Jahrhundert in dieser Gegend gegründet wird. Doch nicht Wei, sondern der Kaiser von Qin führt im Jahr 221 v.Chr. die streitenden Reiche zum geeinten China zusammen, und Wei geht mitsamt seiner Hauptstadt zugrunde.

Nachbau des ehemaligen Kaiserpalastes

Erst zur Zeit der Tang Dynastie (618-907) taucht die Stadt wieder auf der politischen Landkarte auf. Diesmal trägt sie den Namen Bian (汴) und es ist dieser Name, unter dem sie als eine der sieben historischen Hauptstädte Chinas in die Weltgeschichte eingehen wird. „Bian“ wird heute noch verwendet – als Autokennziffer der Region Kaifeng. Dies zeigt, wie tief auch die gegenwärtige Stadt mit ihrer Geschichte verwurzelt ist. Doch bis zu den ersten Autonummern ist noch ein langer Weg.

Im Jahr 936 wird Kaifeng erstmals wieder Hauptstadt einer Herrscherdynastie. Innerhalb von 24 turbulenten Jahren geben sich hier die Herrscher von gleich drei Dynastien die Palastschlüssel in die Hand, bis unter der Nördlichen Song-Dynastie (960-1126) eine Phase der Kontinuität eintritt. Die Blütezeit von Kaifeng bricht an.

Unter den Song florieren Wirtschaft, Kunst und Kultur, Wissenschaft und Technik in bisher ungeahntem Ausmaß: Zum ersten Mal in der Geschichte wird Papiergeld als Zahlungsmittel verwendet. Dies ist nur möglich aufgrund der technologischen Errungenschaft des Blockdrucks, mit dem hier (erstaunliche 300 Jahre vor Gutenberg) auch Bücher in Millionenauflage produziert werden. Des Weiteren werden das Schießpulver und die schwimmende Kompassnadel entwickelt, und auf dem weitverzweigten Kanalsystem kommen sogar Schiffsschleusen zum Einsatz.

Kaifeng ist nicht nur technologisches, sondern auch wirtschaftliches Zentrum eines chinaweiten Handelsnetzes, auf dem sowohl Bedarfsgüter als auch Kunst- und Luxuswaren vertrieben werden. Kein Wunder, dass die „östliche Hauptstadt“ (东京), wie Kaifeng nun auch genannt wird, einen immensen Bevölkerungszuwachs verzeichnet: Innerhalb ihrer drei Stadtmauern leben zwischen 600.000 bis 700.000 Menschen, womit sie die größte und bedeutendste Stadt der damaligen Zeit ist.

Händler aus der ganzen Welt lassen sich nieder und es entsteht die arabisch geprägte Hui-Minorität, die heute eine der größten nationalen Minderheiten Chinas darstellt. Daneben bildet sich auch eine jüdische Gemeinde, von deren Wirken noch einige Zeugnisse erhalten sind, die man bei einem Besuch in Kaifeng aufzuspüren versuchen kann.

Das Ende einer Ära

An diese Blütezeit erinnert heute noch ein beeindruckendes Bauwerk: Die Eisenpagode. Ihr eigentlicher Name lautet Youguosi-Pagode (佑国寺塔), doch die rostrote Farbe ihrer Kacheln erweckt den Eindruck, sie wäre aus Metall. Auch wenn man bedenkt, dass der 55m hohe Turm im Jahr 1049 errichtet wurde und seither zahllose Kriege und Überschwemmungen überlebt hat, könnte man zu diesem Schluß kommen. Katastrophen, die sie hätten zerstören sollen, gab es jedenfalls genug: Laut Aufzeichnungen wird Kaifeng zwischen 1194 und 1938 insgesamt 368 Mal von den Fluten des Gelben Flusses heimgesucht. Daneben sind es aber vor allem kriegerische Auseinandersetzungen, die die Stadt bedrohen.

Als 1127 die Dschurdschen einfallen und die Song-Dynastie nach Süden vertrieben wird, endet die Blütezeit Kaifengs. Der Großteil der Bevölkerung wandert ab und die beiden äußeren Wälle liegen verlassen. 1234 erobern die Mongolen Kaifeng, welches weiter in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Mit der Ernennung zur Hauptstadt der Provinz Henan scheint es mit der Stadt wieder bergauf zu gehen. Langsam erholt sie sich von ihrem Niedergang, doch 1642 zerstört die Armee des Ming-Kaisers die Deiche des Gelben Flusses, um den Vormarsch des Rebellenführers Li Zicheng zu stoppen. Die Zerstörung ist so verheerend, dass die Stadt aufgegeben werden muss. Erst zwanzig Jahre später beginnt unter dem Qing-Kaiser Kangxi der Wiederaufbau.

Holzschnitzereien in Kaifengs Zunfthalle

Sehenswertes in Kaifeng

Aus dieser Ära des Wiederaufbaus stammen einige der schönsten Gebäude des heutigen Kaifeng. Zu diesen zählt beispielsweise die Zunfthalle Shanshangan (山陕甘会馆), die von einer einflussreichen Händlervereinigung errichtet wurde. Ihre kunstvollen Holzschnitzereien geben ein eindrucksvolles Bild der handwerklichen Fertigkeiten ihrer Erbauer. Sie beherbergt auch zwei interessante Modelle des heutigen und des Song-zeitlichen Kaifeng, an denen die großen Veränderungen abzulesen sind, die die Stadt durchlebte.

Auch die ältesten erhaltenen Gebäude des buddhistischen Premierministertempels (大相国寺) stammen aus der Kangxi-Ära. Zur Zeit der nördlichen Song-Dynastie lebten hier über 10.000 Mönche, doch auch die einstige Größe des im Jahr 555 gegründeten Klosters ist dem steten Wandel unterworfen. Während der Kulturrevolution (1966-1976), als Maos Rote Garden gewaltsam gegen die Tradition althergebrachter Werte

Wiederbelebung der religiösen Praxis im Premierministertempel

vorgehen, wird das Kloster geschlossen, die
Mönche vertrieben, und viele bedeutende Kulturgüter zerstört. Die Geschichte Kaifengs wäre jedoch keine Geschichte des Wandels, wenn auf den Niedergang nicht stets ein neuerlicher Aufstieg folgte. So leben mittlerweile wieder etwa 100 Mönche in dem Tempel, und auch seine bedeutendste Statue, eine dreihundert Jahre alte Guanyin mit 1000 Armen, deren Herstellung damals rund 50 Jahre dauerte, ist mittlerweile restauriert und kann besichtigt werden. Aber nicht nur Touristen, vor allem Gläubige in wachsender Zahl zieht es in den Premierministertempel. Besonders am 1. und 15. Tag des Monats (nach chinesischem Kalender) strömen sie in Scharen herbei um Räucherstäbchen zu entzünden, oder gar um im Zuge einer religiösen Zeremonie, eingesperrte Vögel und Schildkröten freizulassen.

Kaifeng, Stadt des Wandels

Alles fließt, besonders in einer Stadt wie Kaifeng, für die die Nähe zum Gelben Fluss nahezu symptomatisch ist. In der Geschichte von Aufstieg und Niedergang erfährt Kaifeng seine bislang letzte Marginalisierung im Jahr 1955, als ihr der Status der Provinzhauptstadt Henans zugunsten von Zhengzhou aberkannt wird. Doch es wäre nicht Kaifeng, wenn die Stadt damit in der Versenkung verschwinden würde. Das wachsende Interesse an

Einheimische beim Kartenspiel

China als Tourismusland führt gerade hier zu einer neuerlichen Aufwertung. Mit ihren traditionellen Bauwerken und altertümlichen Sehenswürdigkeiten ist Kaifeng die wesentlich interessantere Destination als Zhengzhou. Während die Glorie der einstigen Metropole zwar unter den modernen Asphaltstraßen begraben liegt und entlang der Hauptstraßen neue Gebäude aus dem Boden schießen, herrscht in den Nebengässchen noch die Atmosphäre vergangener Zeiten. Wo sich kleine, windschiefe Häuser dicht an dicht drängen und die Einwohner beim Kartenspiel auf der Straße zusammensitzen, kann man bei einem Spaziergang zwischen alter und neuer Welt eine Momentaufnahme der ewig wandelnden Stadt Kaifeng in sich aufnehmen.

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Verfasst von Lukas Weber

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