Taijiquan 太极拳 (kurz: Tai-Chi) wird nicht nur in China, sondern auf der ganzen Welt von mehreren Millionen Menschen praktiziert. Es wurde bereits zu Zeiten des chinesischen Kaiserreichs als Kampf- und Bewegungskunst etabliert. Heutzutage tritt der Aspekt der Kampfkunst zunehmend in den Hintergrund. Gesundheit, ganzheitliche Entwicklung von Körper und Geist sowie Persönlichkeitsentwicklung treten dafür immer mehr in den Vordergrund. Tai-Chi ist meditativ, kräftigt den Körper und dient der Entfaltung des inneren Qi 气 („Lebenskraft“, „Energie“, „Atem“).
Wörtlich übersetzt bedeutet Taijiquan (auch Tai-Chi Chuan) etwa „Höchstes Prinzip der Faust (-kampftechnik)“. Die Kurzform lautet Tai-Chi. Da sich die Umschrift für die chinesischen Schriftzeichen im Laufe der Zeit immer wieder verändert hat, gibt es unterschiedliche Schreibweisen. Hierzulande ist Tai-Chi auch unter dem Begriff Schattenboxen bekannt, da dem Schüler beim Training meist ein imaginärer Partner gegenübersteht.
Tai-Chi zählt heute zum größten „Volkssport“ in ganz China. Bereits in den frühen Morgenstunden kann man im Reich der Mitte Jung und Alt bei der Ausführung der häufig meditativ anmutenden Bewegungen beobachten. Sehr beliebt dafür sind Parks, der Uni Campus oder öffentliche Plätze.
Qi Gong 气功 wurde bereits während der Han-Dynastie (206 v. Chr.) als Meditations-, Konzentrations- und Bewegungsübung praktiziert. Im 16. Jahrhundert hat sich daraus das Taijiquan als Kampf- und Bewegungskunst entwickelt. Bis ins 20. Jahrhundert kam es dann zur Herausbildung von fünf Hauptstilen des Tai-Chi: Chen-Stil, Yang-Stil, Hao-Stil, Wu-Stil und Sun-Stil. Die Stile tragen jeweils den Namen der Familie, die den Stil entwickelt hat. Der am weitesten verbreitete Stil ist der Yang-Stil. Hauptkennzeichen dieses Stils sind Entspannung und Weichheit, wobei Sprünge und schnelle Bewegungen vermieden werden.
Sowohl das Tai-Chi als auch das Qi Gong („Fähigkeit das Qi zu nutzen“) zählen zu den sogenannten „Inneren Stilen“ der chinesischen Kampfkunst (Kung Fu 功夫). Im Gegensatz zu den „Äußeren Kampfkünsten“, die eher auf die Herausbildung von Muskelkraft mit harten Bewegungen abzielen, liegt der Schwerpunkt der „Inneren Kampfkunst“ in der Entspannung und weichen Bewegungen. Eine strikte Trennung zwischen äußeren und inneren Stilen gestaltet sich schwierig, da sich in vielen Bewegungen sowohl äußere als auch innere Elemente wiederfinden.
Einer Legende zufolge soll der daoistische Mönch Zhang Sanfeng 张三丰 das Grundprinzip der „Inneren Kampfkunst“ bereits im 13. Jahrhundert erschaffen haben. Er hatte sich als Eremit in die Wudang-Berge 武当山 zurückgezogen. Eines Tages beobachtete er den Kampf zwischen einem Kranich und einer Schlange. Der Kranich attackierte die Schlange immer wieder mit schnellen harten Bewegungen, denen die Schlange durch ihre geschickten und geschmeidigen Bewegungen auswich. Nach einiger Zeit zog sich der Kranich erschöpft zurück. Der Mönch erkannte das Prinzip des „weichen Kampfes“ und leitete daraus das Prinzip der „Inneren Kampfkunst“ ab. Zhang Sanfeng gilt heute als Urvater des Tai-Chi und des sogenannten Wudang-Stils aus den Wudang-Bergen.
Es gibt sehr viele unterschiedliche Stile und Schulen mit zahlreichen Unterformen. Einen internationalen Verband, unter dem alle Stile und Lehren organisiert sind, gibt es nicht. Aus diesem Grund existiert auch kein international einheitliches System zur Ausbildung für Tai-Chi. Anders als in anderen Kampfkünsten, wie im Karate oder Judo, gibt es beim Tai-Chi auch kein Graduierungssystem.
Wer Tai-Chi lernen möchte, braucht keine besondere Bekleidung. Für den Einstieg reichen bequeme lockere Kleidung und flache Schuhe aus. Traditionell werden in China auch weite Seiden- oder Baumwollanzüge und Tai-Chi Schuhe aus Stoff mit dünner Baumwollsohle getragen.
Bevor man mit den eigentlichen Tai-Chi Übungen beginnt, sollte man sich zunächst mit den Grundlagen und einigen Vorübungen vertraut machen. Das Wichtigste ist die richtige Grundposition. Hier stehen die Füße parallel und schulterbreit auseinander. Die Kniehaltung ist leicht gebeugt und die Arme hängen entspannt herunter.
Eine der grundlegendsten Übungen, die man im Tai-Chi und den anderen „Inneren Kampfkünsten" beherrschen sollte, ist das sogenannte Zhan Zhuang 站桩 („Stehen wie ein Baum“ oder „Standmeditation“). Hier lernt man, sich auf seinen Atem zu konzentrieren und ein Bewusstsein für jeden Teil des eigenen Körpers zu entwickeln.
Im Tai-Chi gibt es unterschiedliche Bewegungsabläufe, die sich „Formen“ nennen und aus einzelnen Figuren bestehen. Die Figuren tragen zum Teil poetische Bezeichnungen wie „Der weiße Kranich breitet seine Flügel aus“, „Die Schlange kriecht nach unten“ oder „Die schöne Dame am Webstuhl“. Man unterscheidet zwischen Kurz- und Langformen, Partnerformen und Waffenformen. Eine einzelne Form kann fünf Minuten oder 1,5 Stunden dauern und umfasst unterschiedlich viele Figuren. Die bekannteste Form ist die Pekingform oder 24er Form, die hauptsächlich auf dem Yang-Stil beruht. Sie besteht aus 24 weich fließenden Bewegungselementen und dient vor allem der Entspannung und dem gesundheitlichen Wohlbefinden.
Für gewöhnlich werden zunächst die waffenlosen Formen geübt. Fortgeschrittene Tai-Chi Schüler lernen zur Erweiterung des Kraft-, Technik- und Konzentrationstrainings auch Waffen- und Geräteformen. Zum Einsatz kommen dabei das Schwert, der Säbel, der Fächer, der Langstock, der Speer oder die Hellebarde. Die Waffen und Geräte werden hier als Teil des eigenen Körpers betrachtet. Kleine Fehler oder Ungenauigkeiten werden so überdeutlich sichtbar und der Schüler ist gezwungen, seine Bewegungen sehr präzise auszuführen. Bei der „Waffenform“ wird die Waffe demnach nicht als wirkliche Waffe eingesetzt, sondern dient im weitesten Sinne der Meditation sowie der Kräftigung von Körper und Geist.
Viel Spaß beim Ausprobieren!