Ich hatte mich gerade daran gewöhnt, dass es nicht mehr „Kaffee“, sondern „Venti-skimm milk- Signature-Hot-Cranberry-Cinnamon-Orange-White Chocolate-Mocha-ohne Sahne-20% Milchschaum- extra Karamel-und- vier shots-to go“ heißt, als ich in Taiwan landete. Hier auf der Teeblattinsel rückte das Kaffee-Problem in den Hintergrund, denn es gab einen ernstzunehmenden, süchtig machenden und - dachte ich - vergleichsweise einfach zu bestellenden Konkurrenten: Perlen-Milch-Tee.
Der Perlen-Milch-Tee gehört zur Familie der Bubble-Tea-Arten. Entdeckt wurde diese Tee-Spezies in den achtziger Jahren in Taiwan, verbreitete sich dann rasch über den asiatischen Raum bevor sie den Sprung auf den amerikanischen Kontinent schaffte, um dann ihren Siegeszug rund um den Globus anzutreten. So werben auch die europäischen Coffee Shops inzwischen mit dem neuen „Trendgetränk“. Bubble Tee gibt es in zwei Arten: Experimentierfreudige greifen zur Variante Tee plus Fruchtzusatz, wer es klassisch mag, entscheidet sich für die Variationen auf Milchtee-Basis. Die "bubbles" oder Perlen (chines.: zhen zhu), die im Tee schwimmen, sind zwar meistens Tapioka Perlen, es gibt aber inzwischen unzählige Variationen von weichen, etwas glitschigen, kugeligen Zusätzen, auf denen man "herumkauen" kann. Die Gretchen-Frage stellt sich bei Thema Originalrezept. Man könnte auch sagen, es ließe sich eine Themenreise Bubble Tea veranstalten, die Sie vermutlich einmal rund um die Insel führen würde, denn über ganz Taiwan verteilt werden Sie immer wieder auf Teehäuser stoßen, die sich rühmen, die Erfinder der flüssigen Leckerei zu sein oder doch wenigsten eine entscheidende Variation von letzterer kreiert zu haben. Fragt man einmal die Taiwaner nach ihrer Meinung, dann schränkt sich der Radius etwas ein: „Der Bubble Tea stammt aus einem Teehaus in der Stadt Taizhong. Dort wurde das erste Mal Milchtee in verschiedenen Geschmacksrichtungen gemischt und es dauerte nicht lange, bis man Tapiokaperlen hinzumischte. Es gibt allerdings auch noch ein Teehaus in der Stadt Tainan, das von sich behauptet das Originalrezept erfunden zu haben“, erklärt Lü An, Besitzerin eines Bubble Tea-Shops in Taipeh und passionierte Milchtee-Konsumentin.
Lü An ist schon seit sieben Jahren in der Bubble Tea Branche. Das Geschäft mit den schwarzen Perlen läuft gut. Obwohl sich in der kleinen Straße ein Stand an den anderen reiht, haben Lü An und ihr Team alle Hände voll zu tun. In schwarzen T-shirts und roten Kappen flitzen sie zwischen den Zutatenbehältern und den Mixgeräten hin und her. Nummer 223, Nummer 224. Nach Abgleich der Bestellnummer mit dem Bon des Käufers gehen die verschweißten Pappbecher mit viel Schwung über die kleine Holztheke. Während drinnen auf Hochturen gerührt und geschüttelt wird, wird die Schlange draußen trotzdem nicht kürzer. "Mittags zum Beispiel, da kommen die Berufstätigen, die einen kleinen Snack für die Mittagspause wollen. Der Perlen-Milch-Tee hat wegen der Tapioka Perlen oft die Funktion einer Zwischenmahlzeit. Abends wird es ebenfalls sehr voll, denn dann wollen alle eine Tee-Variation als Getränk nach dem Essen. Außerdem ist Bubble Tea bei den Touristen sehr beliebt. Bubble Tea gehört in Taiwan einfach dazu - es ist ja auch schwer ihn nicht zu mögen, denn es gibt so viele Varianten." Dabei ist das Grundmuster denkbar einfach. Perlen. Milch.Tee. Aber ganz so leicht fällt die Entscheidung dann doch nicht. Ich stehe vor der bunten Tee-Karte und habe die Qual der Wahl: Kleine Perlen, große Perlen, rote Perlen, schwarze Perlen, grüne Perlen, Cocos-Stückchen, Pudding, Mungo Bohnen, Schokolade einzeln oder in Kombination, Sahne oder Milch, Fruchtig-süß oder doch lieber herb? Schwarzer Tee, grüner Tee, Fruchtzusatz oder nicht. Welche Geschmacksrichtung: Ingwer, Sesam, Erdnüsse, Vanille, Apfel, Mango, Zitrusfrucht… viel Zucker, wenig Zucker, kein Zucker? Heiß oder kalt? Eiswürfel oder nicht, viel oder wenig? Oder vielleicht die Variante für Kaffee-Trinker, der Mandarinenten Tee, bei dem Milchtee und Kaffe zu gleichen Teilen vermischt werden? So einen Bubble Tea zusammenzustellen ist wahrlich kein Unternehmen für Entscheidungsneurotiker.
Angesichts der Schlange, die hinter mir immer länger wird, entscheide ich mich für den Klassiker. Lü An grinst und stellt den orangenen Pappbecher bereit, in dem gleich meine fertige Bestellung landen soll. Schnell und vorsichtig wird der Milchtee angerührt, kräftig durchgeschüttelt und mit den Perlen vermischt. Jetzt muss das Ganze nur noch vorsichtig mithilfe eines kleinen Automaten verschweißt werden, fertig. Der große Moment ist da: ich steche den Strohhalm durchs Plastik und probiere das Ergebnis. Es bedarf einer gewissen Anstrengung die Perlen durch den Strohhalm zu bekommen, aber das ändert nichts an der Suchtgefahr die von diesem Getränk ausgeht. Nur gut, dass es den Milchtee mit Perlenzusatz auch als Instantpulver gibt.