Keiner, der sie nicht kennt: Die Dating-Show Fei Cheng Wu Rao (If you are the one), ausgestrahlt vom chinesischen Sender Jiangsu Satelite, bricht alle Rekorde. Täglich fiebern Millionen vorm Bildschirm mit, wenn die Kandidaten ihr Heiratsproblem vor laufender Kamera zu lösen versuchen. So zum Beispiel auch mein Nachbar.
Angefangen hat alles vor knapp drei Monaten. Da erzählte mir mein Nachbar Herr Cai beim Treppensteigen – habe ich schon erwähnt, dass wir im 15. Stock wohnen, unser Fahrstuhl notorisch fahruntüchtig ist und die Sache dadurch erschwert wird, dass die Leitungen zwischen dem dritten und zehnten Stock gerne platzen? – wie dem auch sei, wie wir also durchs Wasser treppauf waten, erzählt Herr Cai mir von seinem "persönlichen Problem". Nun, so persönlich ist es eigentlich nicht, schließlich weiß das ganze Haus, dass Herr Cai mit 33 Jahren immer noch nicht unter der Haube ist und somit ein Leben als „Überbleibsel“ (chines. shengnan) bestreitet. Der Überbleibselstatus ist nach traditionell-chinesischer Auffassung wenig erstrebenswürdig und daher schnellstmöglich zu beheben. Nun lebt Herr Cai in Peking, wo man alles etwas lockerer sieht und das Singeldasein längst keine Einzelerscheinung mehr ist. Man hat sich inzwischen sogar dazu durchgerungen, von der sonst so beliebten Frage nach der besseren Hälfte Abstand zu nehmen. Mehr noch: Sie gilt sogar als unhöflich, denn die Gefahr, auf einen unverheirateten Gesprächspartner zu treffen ist besonders hoch.
Das alles stört Herrn Cais Mutter – sonst ein wirklich ausgesprochen betuliches Wesen – wenig. Ihr Filius muss baldmöglichst heiraten, da ist sie resolut. Und damit Herr Cai dem Wunsch seiner Mutter möglichst schnell nachkommt, bedient er sich eines neuen Trends: Fei Cheng Wu Rao (非诚勿扰).
Die Spielshow Fei Cheng Wu Rao (engl. Titel: "If you are the one") entstand nach dem der gleichnamige Kinofilm vom Suchen und Missverstehen der Liebe zum landesweiten Kassenschlager mutierte. Nicht nur, dass der Film sehr eindrucksvoll das Leben der oberen Zehntausend dokumentiert, sondern er greift das Problem "Überbleibsel" auf, dass immer mehr Chinesen beschäftigt. Besonders die Folgen der Ein-Kind-Politik machen sich bei der Suche nach der besseren Hälfte immer häufiger bemerkbar: China fehlen die Frauen. Aber auch wenn ein weibliches Gegenstück in Sicht ist, muss vorher noch der Abgleich der Ansprüche überstanden werden. Ein Haus, ein Auto, einge gute Ausbildung - Partnersuche in chinesischen Großstädten ist nicht einfach. Glücklicherweise besitzt mein Nachbar all dies, was ihn schon einmal einigermaßen "heiratsfähig" machen dürfte. Weil dem so ist, hat er sich ein Herz gefasst und sich über die Internetseite der Spielshow beworben. Und siehe da, drei Monate später hat es tatsächlich gereicht und sein Profil hat genug Stimmen erhalten, die ihn somit in die Show gewählt haben.
Die seit Januar 2010 vom Sender Jiangsu Satelite ausgestrahlte Dating-Show Fei Cheng Wu Rao, ist beim Publikum ein echter Hit. Jedes Wochenende können die Zuschauer am Bildschirm mitverfolgen, wie nacheinander fünf männliche Kandidaten versuchen, eine der 24 anwesenden jungen Damen von ihren Qualitäten zu überzeugen. Die Show verfährt nach dem Prinzip des gegenseitigen „Aussortierens“: Zunächst wird der Kandidat die Nummer der Dame, die ihm auf Anhieb am besten gefällt, in einen nur fürs Publikum und Moderatoren sichtbaren Computer eingeben. Jede der Damen hat an ihrem Pult ein Licht, das sie in dem Moment ausschalten kann, in dem sie vom Lebenspartner in spé genug hat. Sei es nach dem ersten Eindruck oder nach dem Einspielen eines der kurzen Videoclips, die den Bewerber näher vorstellen. Super-GAU für den Kandidaten ist, wenn alle Damen die Lichter ausgelöscht haben und er ohne Traumfrau von dannen ziehen muss. Es kann aber auch sein, dass noch genug Lichter brennen, darunter leider nicht das seiner Herzdame. Nun heißt es: weiterspielen und neu wählen oder als Single das Feld räumen. Und so spielt man sich mit Fragen, Gesangs- und Showeinlagen und den ironischen Kommentaren von Moderator Meng Fei durch die Sendung. Psychologische Unterstützung erhalten die Kandidaten dabei von den Co-Moderatoren Le Jia und Huang Han, die mit mehr oder weniger ernstgemeinten Analysen und guten Ratschlägen versuchen, die Kandidaten auf Kuppelkurs und die Zuschauer bei Laune zu halten.
Herr Cai will möglichst viele Lichter brennen sehen und überlässt daher nichts dem Zufall. Bevor das Kamerateam anrückt wird das äußere Erscheinungsbild noch einmal gründlich aufgemöbelt und bei einem Abendessen diskutieren Freunde und Nachbarn die bestmöglichen Strategien, um beim schönen Geschlecht gut anzukommen. Nachdem Herr Cai sich persönlich von der strategischen Eloquenz unserer Texte zur Beschreibung seiner Persönlichekeit überzeugt hat, beginnt der Reigen der Laudatoren, die höflich lächelnd die Vorzüge ihres Nachbarn vor der Kamera aufsagen.
Dating-Shows liegen in China im Trend. Die erste - TV-Matchmaker - lief bereits in den achtziger Jahren. Seitdem hat sich die Partnersuche vor laufender Kamera zu einem der erfolgreichsten TV-Formate im Reich der Mitte entwickelt. Das beliebteste von ihnen ist momentan Fei Cheng Wu Rao. Herr Cai bleibt zwar locker: "Selbst, wenn keine der 24 Kandidatinnen zu mir passt, ist es nicht so schlimm. Man nimmt daran teil, weil das gesamte Land zuschaut und die Kandidaten der Show über die Homepage kontaktieren kann. Das heisst also, auch wenn du während der Sendung keinen Erfolg hast, ist die Chance, jemanden auf dich aufmerksam zu machen, doch sehr hoch."
Damit das auch so bleibt, wird vor seinem Auftritt in der Show noch fleißig geübt. Als gute Nachbarn haben sich die Mitglieder unserer WG bereitwillig zu Ausrichtern des Fei Cheng Wu Rao-Trainigslagers erklärt. Nachdem wir gefühlte 2.456.344 und eine Folge der Sendung geschaut, das Verhalten der Kandidaten bis ins letzte Detail analysiert, die Kommentare der Moderatoren diskutiert und die Gründe für das Erlöschen der Lichter gründlichst hinterfragt haben, ist Herr Cai bereit für den Elch-Test: Wir simulieren eine Sendung.
Das ist gar nicht so einfach, aber Improvisation ist ja bekanntlich alles. Herrn Cais Mutter erklären wir kurzerhand zur Moderatorin und das Pärchen von nebenan hilft auch aus. Anschließend montieren wir unsere Schreibtischlampen - und alles, was sich sonst noch an- und ausknipsen lässt- an den gemeinsamen Esstisch und nehmen dahinter Aufstellung. Statt 24 hübschen Damen bekommt Herr Cai es mit drei Herren, vier bereits liierten Damen, einem Ausländer, diversen Kuscheltieren (unser Publikum) und einer Topfpflanze (rein dekorativ) zu tun. Nicht ganz 24, aber immerhin. Er schlägt sich wacker und beantwortet alle Fragen zu unserer vollsten Zufriedenheit. Sollten wir mit einer Antwort nicht einverstanden sein, flackert das Licht so lange, bis der Kandidat die Aussage revidiert hat. Am Ende unserer Frage-Runde brennen von anfänglich acht Lichtern immerhin noch sechs. Gestärkt mit so viel Selbstbewusstsein, machen sich unser Nachbar und sein Mutter auf den Rückweg. Wir sind geschafft, lassen uns in die Betten fallen und löschen alle Lichter. Text: Stephanie Rudolf