Wenn Sie durch die engen Gassen des schattigen Tianyu Blumenmarkts schlendern, könnten Sie auf einen kleinen Laden stoßen, der sich dezidiert von den anderen abhebt: auf einem kleinen Tischtresen sitzt dort Wang Jianhai, seines Zeichens Inhaber eines Ladens für Armbanduhren-Reperaturen. Was daran so besonders ist? Wang Jianhai arbeitet mit seinen Füßen.
Anne: Wie kam es denn dazu, dass du dich für das Reparieren von Armbanduhren entschieden hast?
Wang Jianhai: Als ich fünf Jahre alt war, habe ich durch einen elektischen Schock beide Arme verloren. Ich kann also nicht wirklich vielen Berufen nachgehen. Deshalb erschien mir die Uhrreparatur als beste Lösung.
A: Nun liegt es ja aber nicht unbedingt nahe, sich auf ein Objekt mit so vielen kleinen Einzelteilen zu fokussieren.
WJ: Ich habe einfach gern Dinge auseinander genommen und wieder zusammen gebaut. Allerdings waren die meisten Haushaltsgeräte zu groß für mich.
Da dachte ich: wie groß kann eine Armbanduhr schon werden? Durch einen Freund kannte ich einen Uhrenmeister. Seine Werkstatt war auch nur 100 Meilen von meinem zu Hause entfernt. Zuerst habe ich aber gezögert, weil ich nicht wusste wie der Meister meine fehlenden Arme aufnehmen würde. Mein Freund fragte für mich bei ihm nach und der Meister lehnte ab.
A: Das muss ein harter Schlag gewesen sein. Was hast du daraufhin gemacht?
WJ: Ich konnte nicht einfach aufgeben. Also stand ich jeden Tag vor der Werkstatt des Meisters und sah ihm bei der Arbeit zu. Der Meister fragte mich, ob ich etwas reparieren wollte, er wusste ja nicht, wer ich war. Eines Tages sah er mich in der Kälte draußen stehen und lud mich ein, in der Werkstatt zu sitzen. Das war der Moment, in dem er zum ersten Mal bemerkte, dass ich keine Arme habe. Er realisierte sofort, wer ich war. Er fragte mich: "Und, glaubst du, du könntest es wirklich schaffen?" Es ist sehr schwer sich vorzustellen, dass jemand etwas mit seinen Füßen reparieren kann, das selbst mit den Händen schwer ist.
Der Meister gab mir dann eine Uhr und wies mich an, sie auseinander zu nehmen und wieder zusammen zu bauen. Ich schaffte es, aber der Meister war immer noch der Ansicht, dass es zu schwer für mich sein würde. Er war nicht überzeugt. Zufällig war aber gerade einer seiner Freunde im Laden und dieser sagte etwas, das alles verändern würde:
"Du denkst immer nur auf die Art, in der du selbst Sachen machst. Sein Eifer zu lernen zeigt doch, dass er schonmal die wichtigste Grundlage hat. Du arbeitest eben mit deinen Händen und er mit seinen Füßen. Aber im Prinzip macht ihr das gleiche."
Der Meister stimmte endlich zu, mir einige Tage zur Probe zu geben. Nach einer Woche nahm er mich dann endlich an.
A: Inzwischen hast du Deinen eigenen Laden, der sehr erfolgreich läuft. Bist du zufrieden?
WJ: Am Anfang waren es gar nicht so viele Leute, die meine Dienste angenommen haben. Inzwischen gab es aber einige Medienberichte über mich und die Kunden müssen ihre Zufriedenheit auch an ihre Bekannten weitergegeben haben. Ich arbeite nun seit 10 Jahren hier im Blumenmarkt. Du musst ja irgendwie leben. Du musst dich auf dich selbst verlassen können und nicht auf soziale Hilfe oder die Unterstützung der Familie. Fähigkeiten verändern Dinge. Allerdings: Ohne Schweiß, kein Preis.