Chen Yue, 17 Jahre jung, spricht fließend Deutsch, hat bereits an einem Debattierwettbewerb in Peking teilgenommen und will zum Studium nach Deutschland. Ihr Berufswunsch wäre eine Stelle bei den Vereinten Nationen um sich mehr für Kinder einzusetzen. Lesen Sie das Tischgespräch zwischen dem Live Reporter Ceyhun-Yakup Özkardes und der chinesischen Schülerin Chen Yue.
Y: Hallo Chen Yue, schön dass du dir heute Zeit für uns genommen hast. Erzählst du uns bitte, wie du darauf gekommen bist Deutsch zu lernen?
C: Auf chinesischen Mittelschulen kann man in der Regel nur Englisch lernen. Da ich aber eine Fremdsprachenschule besuche, haben wir ein größeres Angebot an Sprachkursen. Mit 12 Jahren musste ich mich entscheiden welche Sprache ich lerne und hatten dabei die Auswahl zwischen Deutsch, Englisch und Japanisch. Da mein Englisch nicht so gut ist und ich Japanisch nicht lernen wollte, habe ich mich für Deutsch entschieden. Sehr witzig war auch gleich die erste Deutschstunde, als uns unser Lehrer fragte, warum wir diese Sprache lernen. Alle 15 Schüler, mich eingeschlossen, sagten, sie wollten eigentlich Französisch lernen, doch das wurde in diesem Jahr nicht angeboten. Ich wollte zunächst lieber Französisch lernen, weil ich einige französische Serien gesehen hatte und dachte die Sprache wäre sehr elegant und schön. Heute denke ich aber nicht mehr so darüber. Deutsch klingt für mich kräftig und sehr heiter. Wenn ich heute Französisch höre, dann macht mich das sogar eher schläfrig.
Y: Ist das also eine besondere Schule die du besuchst?
C: Ja es ist eine Fremdsprachenschule, also eine staatliche Schule, und gleichzeitig ein Internat in dem ich auch wohnen kann. Allerdings habe ich lediglich im ersten Jahr dort gewohnt. Inzwischen lebe ich wieder zuhause. Im Internat teilt man sich die Zimmer mit bis zu sechs Personen, daher hat man nicht sehr viel Platz. Ich hatte deshalb nachts Probleme einzuschlafen.
Y: Wie lange lernst du bereits Deutsch und wie oft hast du Unterricht?
C: Ich lerne seit etwas mehr als fünf Jahren Deutsch und spreche auch Englisch. Ich habe in der Woche sieben Unterrichtsstunden Deutsch an meiner Fremdsprachenschule, von denen jede 40 Minuten lang ist. Fünf Stunden habe ich davon bei einem Lehrer aus Deutschland und zwei bei einem Lehrer aus China. Neben dem Unterricht gibt es noch Wettbewerbe an denen wir teilnehmen können wie die „Deutsche Olympiade“ oder „Jugend debattiert“. Beim Debattierwettbewerb habe ich bereits teilgenommen, dazu bin ich nach Peking geflogen. In China gibt es insgesamt 13 Fremdsprachenschulen und alle schicken ihre besten Schüler zu diesem Wettbewerb um gegeneinander anzutreten. Zwei, drei Wochen vor dem eigentlichen Termin, bekommt man das Thema über das alle Schüler debattieren sollen, und man bereitet sich darauf vor. Allerdings weiß man dann noch nicht, welche Position man bei dem Thema einnehmen soll, ob Pro oder Contra. Man muss sich deshalb auf beide Aspekte vorbereiten.
Y: Was genau hast du nach deinem Abitur vor?
C: Ich bereite mich darauf vor, meinen Bachelor in Deutschland zu absolvieren. Ich würde gerne Betriebswirtschaftslehre oder Psychologie in Deutschland studieren und habe mir Deutschland ausgesucht, weil es viel billiger ist dort zu studieren als in England oder Amerika. Dort könnten sich meine Eltern einen Studienplatz ohne Stipendium nicht leisten. In meiner Fremdsprachenschule ist es außerdem üblich zum Studium ins Ausland zu gehen. Neben den Bewerbungen in Deutschland werde ich mich natürlich auch an Universitäten in China bewerben um zu garantieren, dass ich studiere.
Nach meinem Bachelor möchte ich auf alle Fälle meinen Master machen und möchte mich dann bei den Vereinten Nationen um eine Stelle bewerben. Eine Organisation die sich für Kinder einsetzt und in Afrika tätig ist, klingt für mich sehr interessant. Ich bin mir allerdings nicht sicher was meine Mutter darüber denkt, denn sie weiß davon nichts und sie würde auch wütend werden wenn sie davon erfährt. Sie meinte zu mir, dass ich zehn Jahre im Ausland studieren und arbeiten kann, solange ich anschließend zurück nach China komme.
Y: Gibt es noch einen Alternativplan?
C: Lehrerin zu werden wäre auch einer meiner Träume, bin mir aber darüber nicht ganz sicher. Ich hatte mir auch überlegt in Deutschland Chinesisch zu unterrichten, da ich meinen Deutschlehrer hier in China beneide. Ich finde seine Arbeit sehr einfach, weil er lediglich seine Muttersprache, also Deutsch, gebraucht und damit in verschiedenen Städten Chinas unterrichten kann. Allerdings wäre eine Familiengründung unter diesen Bedingungen sehr schwierig. Das zeigt sich auch bereits daran, dass die meisten Deutschlehrer in China Singles sind.
Y: Ist es etwas Besonderes für Chinesen im Ausland zu studieren?
C: Vor 10 Jahren war es vielleicht etwas Besonderes im Ausland zu studieren aber heute machen das immer mehr Chinesen. Es ist, glaube ich, eine spezielle Erfahrung von der man viel lernen kann.
Y: Du warst bereits in Deutschland. Was blieb dir von der Zeit am stärksten in Erinnerung?
C: Am meisten hat mich beeindruckt, wie viel Zeit deutsche Schüler haben, sodass sie sogar jeden Tag ihren Hobbys nachgehen können. Ich habe maximal eine Stunde in der Woche in der ich meine Hobbys ausüben kann. In Deutschland können die Schülerinnen jeden Tag Sport machen, ein Pferd reiten oder ein Instrument spielen. Ich finde das erkennt man auch an der Körperstatur. Chinesische Mädchen sind sehr schlank, in Deutschland gibt es auch viele schlanke Mädchen aber sie sehen muskulöser aus. Chinesische Schüler wollen sich in ihrer Freizeit einfach erholen und entspannen und haben nicht die Energie sich noch zu verausgaben.
Immer wenn meine Gastgeberin in Deutschland, die ebenfalls Schülerin ist, sich abends schlafen legte, hat sie gesagt wie anstrengend es heute doch war. Dabei dachte ich mir immer, dass das schon fast wie Urlaub für mich gewesen wäre. Wenn ich es schaffe die Zeit zu finden, dann spiele ich in meiner Freizeit gerne Klavier oder schwimme und fahre auch gerne Fahrrad.
Y: Vielen Dank für das nette Gespräch und viel Erfolg für deine Zukunft – vielleicht in Deutschland.