Direkt an der Grenze zu Sichuan liegt in der Provinz Guizhou das 50.000 Einwohner Städtchen Chishui (赤水). In touristischer Hinsicht zählt Chishui nicht gerade zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten des Landes. Dennoch hat die Stadt einiges zu bieten – oder vielmehr ihre Umgebung, in der sich nicht weniger als 4.000 Wasserfälle in einer malerischen Bambuswald-Landschaft über Felsen von rotem Gestein herabstürzen.
Die kleine Stadt Chishui, in Chinas südlicher Provinz Guizhou, ist die Basis für eine Vielzahl von Ausflügen zu den landschaftlichen Attraktionen der näheren Umgebung. Die Stadt selbst hat keine besonderen Sehenswürdigkeiten aufzuweisen, dennoch lohnt sich ein Spaziergang durch die verwinkelten Straßen, auf denen Obsthändler ihre rustikalen Karren schieben. Besonders am Abend, wenn auf den großen und kleinen Plätzen die Menschen zusammenkommen um zu musizieren, zu tanzen oder sich beim Spiel die Zeit zu vertreiben, lässt sich mit Staunen feststellen, wie familiär sich das gesellschaftliche Leben in Chinas kleinen Provinzstädten gestaltet.
Feuchtfröhliches Naturschauspiel
Der Hauptgrund, warum vor allem chinesische Reisende in diese Gegend kommen, ist der Shizhangdong-Wasserfall (十丈洞瀑布). Mit einer Höhe von 76,2m und einer Breite von 80m ist er nur um einen Meter kleiner als Chinas größter Wasserfall (Huangguoshu 黄果树瀑布). Während der Regenzeit transportiert er bis zu 300m³ Wasser pro Sekunde. Entsprechend feucht ist das Besuchserlebnis: Wenn der Wind stimmt, wird man noch auf der 100m weit entfernten Aussichtsplattform pudelnass gesprüht. Einige waghalsige Besucher schreckt dies jedoch nicht davor ab, sich auf einem großen Felsen, direkt vor dem Wasserfall stehend, fotografieren zu lassen.
Außer dem donnernden Wasserfall hat das Örtchen Shizhangdong leider nicht viel zu bieten. Einst gab es einen Spazierweg, der verschlungen durch das Bambusgehölz den Fluss hinauf führte. Doch aufgrund ausständiger Instandhaltungsarbeiten ist dieser mittlerweile gesperrt, und es bleibt den Besuchern nichts anderes übrig, als sich per Golfwagen zum Wasserfall hin- und wieder zurück kutschieren zu lassen. Ob sich die einstündige Busfahrt von Chishui nach Shizhangdong dafür lohnt, muss jedem Reisenden selbst überlassen bleiben. Doch wer nur kurze Zeit in Chishui verbringt, für den bergen die folgenden landschaftlichen Attraktionen wahrscheinlich den größeren Reiz.
Hinter dem Regenbogen
Nur einen Steinwurf von Chishui entfernt liegt der Naturpark Sidonggou (四洞沟), der den Vergleich mit Jiuzhaigou nicht zu scheuen braucht. Nun ja, Sidonggou ist wesentlich kleiner als Jiuzhaigou und er hat auch keine türkisblauen Märchenseen zu bieten. Dafür kann man hier am frühen Morgen mutterseelenallein sein, ungestört vom Trubel der Touristen die Natur ganz für sich alleine haben. Und was für eine Natur dies ist! Alle paar hundert Meter rauscht entlang des Hauptweges ein Wasserfall über pittoreske rote Felsen herab und ergießt sich in klare Seen. Eine artenreiche Tierwelt zeigt sich im schattigen Bambusdickicht und als besonderes Highlight von Sidonggou führt der Weg vielfach hinter den Wasserfällen vorbei, durch die hindurch man im Sonnenlicht die Regenbögen tanzen sieht.
Für unerschrockene Entdecker bieten sich hingegen die vielen kleinen Fußpfade an, die vom Hauptweg abzweigen und in das Bambusgehölz hineinführen. Neben weiteren Wasserfällen lassen sich auf diesen Wegen auch kleine versteckte Siedlungen im Wald entdecken. Nebenbei kann man sich ganz der vielfältigen Tierwelt hingeben: Neben unzähligen Käfern, Libellen und riesigen bunten Schmetterlingen, zählen auch Eisvögel zu den hier heimischen Gattungen. Mit etwas Glück lässt sich sogar eine Schlange beim Sonnenbad auf einem heißen Stein beobachten, doch sollte man vorsichtig sein, da manche von ihnen äußerst giftig sind.
Schlucht der roten Felsen
Chishui bedeutet übersetzt „Rotes Wasser“. Dieser Name, wie unschwer zu erahnen, wird ihm von der rötlichen Farbe der Erde und der Felsen verliehen, die mancherorts das Wasser rot färben. Am beeindruckendsten zeigt sich das farbenfrohe Wechselspiel zwischen Wasser und Gestein in der Rotfelsen-Schlucht (Hongshiyegu, 红石野谷), die nur wenige Kilometer von Sidonggou entfernt liegt.
Auf dem von nur wenigen Touristen begangenen Wanderweg, kann man sich des Gefühls nicht erwehren, sich mitten im tropischen Regenwald zu befinden. Grün in grün strotzt die Landschaft nur so vor Vitalität, eindringlich zirpt und zwitschert die Tierwelt, überall ist das Gluckern des Wassers zu hören, und wo das Blattdickicht von einem jähen Felsen durchbrochen wird, ist dieser von dicken Wurzeln bewuchert.
Steil führt der Weg einen Flusslauf hinauf, der sich in mehreren Kaskaden den Hang herab ergießt. In der schwülen Hitze kann man dabei ganz schön ins Schwitzen kommen, sodass ein kurzes Fußbad in einem der vielen Tümpel zur Abkühlung ganz gelegen kommt. Am obersten Punkt des Weges angekommen, bietet sich ein traumhafter Blick über die hügelige Landschaft, deren dichter Bewuchs stellenweise durchbrochen wird von den landwirtschaftlichen Feldern der ortsansässigen Bauern, die sich terrassenförmig den Hang hinaufziehen.
Auch entlang des Weges trifft man auf menschliche Behausungen, wie die von Herrn Lin und seiner Frau. Der Fünfzigjährige ist hier geboren und aufgewachsen. Auf seinen Feldern wächst Mais und Reis, mit dem Flechten von Bambusmatten erwirtschaftet er sich einen Zusatzverdienst. Das Leben in den Hügeln von Guizhou ist arm, sagt er, doch dafür ist es mit der Fülle der Natur gesegnet. Die friedliche Natur, das freundliche Klima, die Absenz von Hektik und Stress sind Qualitäten, die man in den Städten nicht leicht findet.
Am Ende des zweistündigen Wanderweges erwartet die Besucher schließlich die Hauptattraktion der Schlucht: Ein riesiger, überhängender roter Fels, dem das Wasser in Jahrmillionen bizarre Formen und Einbuchtungen verliehen hat. An diesem Ort geht es etwas turbulenter zu, da viele Besucher, denen der Wanderweg zu mühsam ist, auf einer Abkürzung direkt und ausschließlich hierher kommen. Von hier ist es nur ein kurzer Abstieg zurück zum Eingangstor. Wer hingegen seine Knie schonen und zugleich ein bisschen Adrenalin erleben möchte, kann sich eine Leinenmatte unter den Hintern binden lassen und auf einer steinernen Rutschbahn den Abstieg bewältigen, was allenfalls ein großer Spaß ist.
Landschaft wie aus der Feder eines großen Meisters
Zu Chishuis weiteren Sehenswürdigkeiten zählt auch ein großes Naturschutzgebiet (Jinshagou Ziranbaohuqu, 金沙沟自然保护区), das zum Schutz der Alsophila-Farne eingerichtet wurde. Diese über zwei Meter hohen Farne sind wahre Fossilien: Mit einem Alter von 200 Millionen Jahren dienten sie einst als Dinosaurierfutter – und in dem prähistorisch anmutenden Wald erscheint die Vorstellung gar nicht so abwegig, dass gleich eine Urzeitechse durchs Gebüsch brechen könnte.
Doch ist Chishui nicht nur aufgrund der speziell ausgeschriebenen Landschaftsparks einen Besuch wert. Das ganze Gebiet besticht durch sein tropisches Flair und seinen malerischen Charme. Wenn des Morgens der Nebel von den bewaldeten Hügeln aufsteigt, die sich in der Ferne im Dunst verlieren, könnte man meinen, sich mitten in einer klassischen chinesischen Landschaftsmalerei zu befinden. Und das ist durchaus eine Besonderheit in diesem Land, dass so schnell sich zur Moderne hin entwickelt.