Der Aufenthalt in einer Gastfamilie bedeutet Abenteuer und Tradition. Es ist eine gute Möglichkeit der Kultur der tibetischen Minderheit in einem authentischen und urigen Umfeld besonders nah zu kommen und die Lebensweise der Menschen verstehen zu lernen.
In den an Tibet angrenzenden Regionen der chinesischen Provinzen Sichuan und Yunnan wohnen besonders viele Tibeter, so auch in und um den Nationalpark „Jiuzhaigou“ im Norden Sichuans. Der Name bedeutet übersetzt Neun-Dörfer-Tal, die hier tibetischen Ursprungs sind.
Während im Nationalpark ein reges Treiben herrscht und der Tourismus boomt, scheint in den etwas abgelegenen Orten die Welt still zu stehen und man trifft auf die Beschaulichkeit und Ursprünglichkeit des Lebens der Tibeter.
Leben in Gastfamilien bedeutet nicht nur eine Gegend oder einen Ort kennenlernen, sondern auch dessen Bewohner
Gerade für Individualreisende macht der Aufenthalt in einer Gastfamilie den Reiz aus, etwas tiefer in das Reiseerlebnis einzusteigen und eine emotionale Bindung zum besuchten Ort und ihren Einwohnern aufzubauen. Immer mehr einheimische Familien tibetischen Ursprungs ermöglichen dies indem sie ihre Türen für Besucher öffnen und sie in ihren eigenen vier Wänden beherbergen um sich einige Yuan dazu zu verdienen. Während sie somit ihre Traditionen in aller Gastfreundlichkeit fortführen können, erleben sie auch das Interesse der Besucher, was einen spannenden Austausch ermöglicht.
Traditionelle Häuser, die Religion und Lebensgefühl vereinen
Nachdem ich viel Positives über den Aufenthalt bei Gastfamilien gehört habe, wollte ich selbst diese Erfahrung machen. In der Region Aba nahe des Jiuzhaigou Naturparks habe ich einige Tage bei Zhuo Ma’s im etwa 15 km entfernten Dorf Zhura im Shang Si Zhai Tal inmitten der heiligen Berge zugebracht.
Die holprige Autofahrt über Stock und Stein lässt kaum vermuten, dass hier noch Menschen leben. Hinter der letzten Kurve steht jedoch ein niedliches Häuschen, an dessen Gartenzaun tibetische Gebetsflaggen farbenfroh in der Luft flattern. Im Garten knarren kleine goldene Gebetstrommeln im Takt des Windes. Als wir aus dem Auto steigen kommt ein kleiner Junge auf uns zugelaufen und möchte mir geschwind das Haus von innen zeigen.
Die Familie ist äußerst aufgeschlossen und herzlich. Für eine freundliche Atmosphäre sorgen zudem die mit Mustern bemalten Zimmerwände sowie der Ausblick auf die Berge aus den Fenstern. Es gibt viel zu sehen und der Ort wirkt ruhig und friedlich. Auch ein Buddha-Schrein schmückt den Vorstand im bunt verzierten Wohnzimmer.
Ama, die Herrin des Hauses begrüßt mich herzlich, auch wenn die Kommunikation aufgrund meiner nicht vorhandenen Tibetisch-Kenntnisse eher pantomimisch verläuft. Sie lebt hier gemeinsam mit ihrem erwachsenen Sohn Ke Zhu sowie drei Kindern, zwei Hunden, einer Katze, einem Pferd und einigen Hühnern, die über den Hof wuseln. Mehrere Kinder zu haben, ist für Tibeter normal, denn Chinesische Minderheiten sind von der Ein-Kind-Politik ausgeschlossen, die 1979 in der Volksrepublik eingeführt wurde, um das Bevölkerungswachstum besser zu kontrollieren.
Ke Zhu spricht Mandarin und einige Brocken Englisch was unsere Verständigung erheblich vereinfacht und mir Einblicke in den Alltag der Familie sowie das Leben in der Umgebung bietet. Er arbeitet als Koch im Restaurant "A Bu Lu Zi" nahe des Nationalparks. Dort werden typische Speisen gereicht. Im Gespräch erfahre ich, dass er seine Kochkünste für die tibetische Küche früher noch traditionsgerecht in Lhasa, dem Herzen Tibets erlernte, wo die Familie vor langer Zeit noch lebte.
Den typischen Alltag mit allen Sinnen miterleben
Ama kocht im Wohnzimmer auf einem großen Ofen in gusseisernen Kesseln, die über einem Holzfeuer erhitzt werden. So gibt es zum gemütlichen Abendessen eine frisch aufgebrühte Tasse tibetischen Pferdetees, dazu Kartoffeln aus eigenem Anbau und Yakfleisch mit gekochtem Kohl. Der Ofen spendet beim Kochen angenehme Wärme, denn abends wird es kühl und der Wind pfeift um das Haus. Nachts schläft die ganze Familie gemeinsam im Wohnzimmer während die Gäste im Obergeschoss des Hauses übernachten.
Am Morgen gibt es ein zeitiges Frühstück. Noch bevor die Sonne aufgeht gibt es Spiegeleier von den Hofhühnern und frisch gebackenes Gerstenbrot mit Honig. So lässt es sich gut in den neuen Tag starten. Es wird hier vieles noch selbst angebaut und eigenständig hergestellt. Somit stammen die meisten Lebensmittel, die in der Familie auf den Tisch kommen, aus dem eigenen Hof und Garten, sodass nur die nötigsten Dinge in der Stadt eingekauft werden müssen.
Während Ama die Kartoffeln im Hof einsammelt, habe ich etwas Zeit mit dem Kleinsten zu spielen. Die anderen beiden Kinder sind tagsüber in der Schule, zu der Ke Zhu sie jeden Morgen mit dem Auto in die nächstgrößere Stadt fährt. Auf dem Weg dorthin läd er die gleichaltrigen Nachbarskinder mit ein, die ansonsten die beschwerliche Strecke zu Fuß gehen müssten.
Mitten drin im Familiengeschehen fühle ich mich gut in den Tagesablauf der Selbstversorgerfamilie eingegliedert. Schnell begreife ich, dass es Tag ein Tag aus von früh bis spät jede Menge zu tun gibt und bestimmt keine Langeweile aufkommt. In den darauffolgenden Tagen lasse ich mir einen Besuch in den beiden nahegelegenen Nationalparks Jiuzhaigou und Huanglong dennoch nicht entgehen. Eine Mischung aus rauschenden Wasserfällen, dichten Wäldern und glasklaren Alpinseen sind das Erkennungsmerkmal der stark frequentierten UNESCO Parks.
Auch innerhalb des Naturgebiets wohnen zahlreiche Tibeter. Gäste zu beherbergen wurde ihnen jedoch von der Parkbehörde verboten, um die Umweltverschmutzung durch Abwasser und Abfälle in der fragilen Natur möglichst gut einzudämmen.