Seit meiner ersten China-Reise wollte ich immer mal nach Tibet. Das sagenumwobene Dach der Welt war ein Sehnsuchtsort mit dem weißen Potala Palast, kargen Bergen, Wolken zum Anfassen nah und seinem Buddhismus. Doch immer wenn ich den Anlauf machte, kamen Dinge dazwischen. Zum Glück! Denn es verschlug mich nach Xiahe in der zu Tibet angrenzenden Provinz Gansu.
Während eine Reise nach Tibet etwas Planung und Muße bedarf, sind viele tibetische Gebiete in den angrenzenden Provinzen problemlos zu bereisen. Besonders in Nord- und West-Sichuan findet man bis heute viele kleine Städte und Siedlungen, die vorwiegend von der tibetischen Minderheit bewohnt werden. Siedlungen, die gleichzeitig als religiöse Pilgerorte dienen, wo es kaum Wolkenkratzer sondern eher bemalte Holz- und Lehmbauten gibt und manchmal nur einen kleinen Eckkiosk mit dem Nötigsten. Viele sind abgelegen in den Ausläufern des Himalaya eingebettet und nur über enge Bergstraßen und Matschpisten zu erreichen. Im Winter sind die Passagen schwer befahrbar und von Reisen wird abgeraten. Was mich an der Reise in diese Region reizte, war der Kontrast zur Ostküste mit ihren engen, flachen Städten.
Ich wollte wieder mal schroffe Berge sehen und außerdem weg von Menschen. Neben der Landschaft und Abgelegenheit faszinierte mich besonders die tibetische Kultur und der Buddhismus. Die tief in der Gesellschaft und dem Alltag verwurzelte Religion, welche in Gebetsmühlen, Rosenkränzen und der Vielzahl von Nonnen und Mönchen in roten Gewändern erfahrbar schien. Nach einer kurzen Recherche entschied ich mich also nach Xiahe zu fahren, eine Stadt im südlichen Gansu in der Nähe von Qinghai und Sichuan.
Bustouren durch Serpentinen
Nach einer stundenlangen Zugfahrt kam ich in Lanzhou, der berüchtigten Hauptstadt Gansus an. Lanzhou liegt im Herzen Chinas und ist ein Verkehrsknotenpunkt für Ost-West-Reisen. Die Stadt liegt am Huanghe, dem gelben Fluss, und ist umgeben von Bergen, an welchen häufig der Smog hängen bleibt. Keine Schönheit, zeichnet sich Lanzhou vor allem durch seine Ausflugsmöglichkeiten und seine kulturelle Vielfalt aus. Schon am Bahnhof sieht man muslimische und buddhistische Einflüsse bei den Snacks und der Kleidung der anderen Reisenden.
Von Lanzhou aus gibt es viele Busse in die umliegenden Regionen und Dörfer. Um nach Xiahe zu kommen, musste ich einmal in einer kleinen staubigen Stadt umsteigen und teilte mir ab dann den Bus mit Hühnern und rauchenden Männern mit Hüten. Bei meiner Ankunft regnete es und die Hauptstraße der Stadt war von Schlamm durch Bauarbeiten überschwemmt. Am Ortseingang standen typisch gekachelte Neubauten, chinesische Hotels und kleine Läden, die Elektronik und Taschen verkauften.
Doch je weiter man sich Richtung Stadt bewegte, desto mehr Cafés und kleine Restaurants mit fleischlastigen Speißekarten gab es. Vor einer Schule standen Großeltern in tibetischen Jacken, viele der Männer wieder behütet. Mit ihren Jacken, Hüten, Zigaretten und Motorrädern erinnerten sie mich an Cowboys. Ich stieg in einem recht zentralen Hostel ab, welches von den Mönchen betrieben wurde und für das Labrang Kloster eine Einnahmequelle darbot.
Die Zimmer hatten geschnitzte Holztüren und Diwan ähnliche Betten mit harten Matratzen. Im Hostelrestaurant freundete ich mich schnell mit den Betreibern an. Eine junge Frau, deren Bruder im Kloster als Mönch unterrichtete und die Aufsicht für das Hostel hatte, wollte von mir Englisch lernen. Sie war Analphabetin und freute sich als sie die ersten Buchstaben erkennen konnte.
Klosterherberge der besonderen Art
Ihr Bruder lud mich ein, im Hinterzimmer gemeinsam mit anderen Mönchen ein traditionelles Frühstück zu essen. Gespannt und voller unwissender Scheu trat ich in einen gemütlichen Raum, wo bereits vier Männer saßen und sich unterhielten. Auf einem Tisch stand eine Holztruhe und mehrere Gläser mit dampfendem tiefschwarzen Tee. Ein Mönch rollte konstant etwas in seinen Händen, während er ruhig zu den anderen sprach. Ich wurde willkommen geheißen, sollte mich doch bitte setzen und bekam gleich auch einen Tee. Dann wurde mir erklärt, was und wie ich essen sollte.
Aus der Holzkiste wurde Tsampa, ein sehr weiches, gelbes körniges Mehl genommen und aus der selben Holzkiste dann stark riechende Butter hinzugefügt. Ich schaute gespannt, was nun mit dem Teig passieren sollte und war verblüfft zu sehen, dass das, was der Mönch die ganze Zeit in den Händen gedreht hatte, eine kleine feste Kugel das Resultat war. Höflich bat er mir seine Kugel an und höflich lehnte ich ab. Ein Spiel, dass ich gelernt in China hatte und nun versuchte zum äußersten zu treiben, weil ich nicht wusste, ob ich diese Kugel wirklich essen wollte. Zum Schluss nahm ich sie überschwänglich dankbar an und tat es ihm gleich, tunkte sie kurz in meinen Tee und aß sie. Den ranzigen Geschmack spülte ich mit salzig, fettigem Buttertee runter. Die zufriedenen Gesichter meiner Gastgeber spülten meine leichte Übelkeit weg.
Angespuckt und erleuchtet
Auf einem Spaziergang durch die Stadt fing ich an, die Klostermauer entlang zu laufen. Das Labrang Kloster ist eines der sechs großen Klöster des tibetischen Gelugpa Buddhismus und das größte außerhalb Tibets. Die Klostersiedlung beherbergt mehrere Tausend Mönche und ist außerdem ein bekannter Pilgerort. Die Pilgernden müssen auf ihrer Reise das Kloster einmal umrunden und dabei die Gebetsmühlen anstoßen. Wenn sie können und wollen, sollten sie allerdings die große Runde gehen, über den Kamm, welcher hinter dem Kloster in die Höhe steigt.
Ich entschloss mich mit den Pilgernden zu gehen, im Uhrzeigersinn versteht sich. Durch das Laufen merkte ich wie groß das Kloster war, nach einer ganzen Weile hatte ich das Kloster hinter mir gelassen und war im hinteren Teil der Stadt angekommen, bei einem viel kleineren Nonnenkloster schlug ich den Weg gen Berg ein. Immer dem Feldweg nach. Unterwegs traf ich eine junge Frau mit Mundschutz. Sie war erkältet und trug viele Körbe. Ich half ihr tragen und bekam dafür etwas von ihrem Mittag und ihren Gebetsuntensilien ab. Wieder das dankbare Ablehnen und demütige Annehmen, dann zufriedenes Mittag mit Aussicht über die mächtigen Gipfel und das Kloster.
Auf dem Weg nach unten lud sie mich ein, zu einer Segnung mitzukommen. In einer alten windschiefen Hütte, weit vom Dorf stand eine Schar von Tibetern und wartete auf Audienz eines uralten Mönchs. Er sang, schlug uns allen mit einer Dorje auf den Kopf und zum Abschluss spuckte er uns einen nach dem anderen an. Freudig verbeugten sich die Pilger und ich fand mich wieder zwischen Irritation, Ekel, Neugierde und Zuneigung.
Entdecke auf dieser Reise das Labrang-Kloster in Xiahe!
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