Shenyang ist für jeden Nordostchinesen ein Begriff. Diese Stadt gehört sicherlich zu den wichtigsten und pulsierendsten Städten in dieser von nahezu unerschlossenen Industrie-Naturschätzen und wilden Landschaften geprägten Region. Als Hauptstadt der Provinz Liaoning kommt ihr zudem noch eine administrative Bedeutung zuteil. Den Ruf, der verschmutzen und grauen Industriestadt, ist Shenyang heute los. Viele Shenyanger selbst beschreiben, dass ihre Stadt vor einigen Jahren noch zu den hässlichsten Städten des Landes gehörte.
Heute ist davon aber nur noch wenig zu sehen. Es hat intensive Bemühungen der Regierung gegeben, das Image der Stadt zu verbessern. Und glaubt man den Menschen in Shenyang, ist es der Stadt auch gelungen. Auch mein Eindruck war nicht der einer grauen Industriestadt, sondern einer Stadt, in der das Leben Spaß macht. Besonders nachts, wenn die Straßen von den Leuchtreklamen illuminiert werden, erhält man den Eindruck, dass hier viel los ist. Mehr als in manch anderer Stadt der Region.
Ich hatten den Eindruck von einer Stadt, die Spaß macht.
Nicht nur das Moderne prägt Shenyang, sondern auch die Historie. Wenige wissen, dass Shenyang auch einmal Hauptstadt war und deswegen auch eine, zumindest kleinere, Verbotene Stadt besitzt. Zwar war Shenyang nie direkt Hauptstadt des Chinesischen Kaiserreiches, aber eines seiner Vorgängerreiche, wenn man so will.
Die Verbotene Stadt in Peking ist ein Muss für jeden, der nach China reist. Auch die meisten Chinareisenden kommen einmal nach Peking, um sich das alte kaiserliche Zentrum anzuschauen. Aber auch Shenyang bietet kaiserliche Schätze. Um dies zu verstehen, muss man allerdings etwas in die Geschichte blicken.
Die Qing-Dynastie, die bis 1911 über China herrschte, war eigentlich keine chinesische Dynastie. Neben der Yuan Dynastie gehört auch die Qing Dynastie zu den Fremdherrschaften. Es waren nicht die Han-Chinesen, die knapp 300 Jahre die Kaiser der Qing stellen, sondern die Mandschus. Der letzte Kaiser Chinas - Puyi - mit seinem typischen chinesischen zweisilbigen Namen hieß bürgerlich Aisin Gioro Puyi.
Bevor die Mandschus, die traditionell im Nordosten des heutigen Chinas lebten, die Ming Dynastie herausforderten und schlussendlich auch zum Fall brachten, gründete Nuerhaci 1617 die Jin Dynastie und macht Shenyang im Jahr 1625 zu dessen Hauptstadt. Wenn man so will, war dies die Vorgängerdynastie. Mit der Verlegung der Hauptstadt 1644 von Shenyang nach Peking, besiegelten sie nicht nur das Ende der Ming, sondern änderten auch ihren Namen von Jin nach Qing.
Was sie zurückließen, war der Kaiserpalast. Von dort an, diente der Kaiserpalast von Shenyang als Feriendomizil, wenn sich der Kaiser im Nordosten aufhielt.
Besonders beeindruckend ist die Dazheng–Halle. Auf dem Weg zu ihr kommt man sowohl an einem kleinen Museum vorbei, das die Geschichte der Jin-Dynastie erzählt, als auch an anderen kleinen Gebäuden, die Themen und Eigenheiten der Jin und auch der späteren Qing erklären. Nicht alle, aber die wichtigsten Infos sind sogar auf Englisch. Auch wenn die Verbotene Stadt in Shenyang bei weitem nicht an die Größe ihres Pendants in Peking herankommt, sollte man sich doch genug Zeit lassen, sich alles in Ruhe anzuschauen. Gerade für Geschichtsinteressierte ist es wirklich interessant und birgt einige Überraschungen.
Die Zhongjie ist die Haupteinkaufsstraße Shenyangs. Hier gehen die Massen shoppen. Auswahl haben sie dabei reichlich, denn eine Shopping-Mall jagt die nächste. Und Eine übertönt musikalisch die Andere. Gerade in den Malls selber hat jeder Stand seine eigene Musik auf Lautstärke 100. Nichts für empfindliche Ohren.
Mein persönlicher Höhepunkt auf dieser Straße war aber das traditionelle Shenyanger Eis. Das Zhongjie Frozen Novel Ties 中街冰点 gibt es bereits seit 1946. Und wahrscheinlich auch seit dieser Zeit gibt es nur eine Sorte, die sich bis heute als Kassenschlager hält. Einfach mal die Straße auf und ab schlendern und Ausschau nach den Schriftzeichen halten.
Fast an jeder Straßenecke gibt es Erdbeeren aus Dandong. Sie gelten in China allgemein hin als die besten Erdbeeren. Und ja, sie kommen auch an unsere heimischen Erdbeeren ran, wobei diese für mich persönlich immer die besten bleiben werden.
Aber genau dieses Dandong ist eine ganz interessante Stadt, denn sie ist eine der großen Grenzstädte zwischen China und Nordkorea. Wer Nordkorea einmal näher kommen möchte, sollte einen Tagesausflug nach Dandong machen. Für knapp € 10 pro Strecke ist man mit dem Schnellzug in knapp einer Stunde da.
Vom Bahnhof fußläufig ist der Grenzfluss Yalu River zu erreichen. Hier steht die Brücke der Chinesisch-Koreanischen Freundschaft, über die Autos und auch Züge nach Nordkorea gelangen. Außerdem findet sich hier auch die sog. Kaputte Brücke. Sie ist im Koreakrieg von Amerikanern zerstört worden – die einen sagen versehentlich und die anderen absichtlich. Während China seinen Teil restaurierte und wieder aufbaute, montierten die Nordkoreaner ihre Hälfte ab und ließen nur die Brückenpfeiler als Mahnmal der amerikanischen Zerstörungswut stehen.
Wenn man den chinesischen Teil bis zur Mitte des Flusses voranschreitet, kann man über ein Fernrohr eine koreanische Hochzeitsgesellschaft beobachten. Das macht einem zumindest die Betreiberin zweier kostenpflichtiger Fernrohre weis. Ich würde es einmal bezweifeln. Dennoch kann man auf der anderen Seite des Flusses ein paar ausrangierte Fahrgeschäfte aus Freizeitparks erblicken. Irgendwie ein bizarres Bild.
Eines der nordkoreanischen Restaurants, die über die Stadt verteilt sind, würde ich mir allerdings sparen. Besonders lecker hat mir das Essen dort nicht geschmeckt. Dann lieber abends zurück nach Shenyang fahren und dort ordentlich essen. Das schmeckt um einiges besser und man zahlt keine Touristenpreise.
Ein Halt in Shenyang lohnt sich. Gerade der Mix aus der eher unbekannten Geschichte der Jin und späteren Qing und dann aber auch das moderne und pulsierende China. Es muss ja auch nicht immer alles historisch wertvoll sein. Und für den Nervenkitzel ist auch etwas dabei: ein Tagesausflug an die Grenze nach Dandong.