Unsere Kollegin Linda Gomolakova war unterwegs im Nordosten des Riesenreiches und durfte dabei Chinas westliches Gesicht in Tianjin kennenlernen. Hiervon erzählt Sie in Ihrem Reisebericht.
Tianjin wird häufig als der Hafen Pekings bezeichnet, dabei hat diese bei westlichen Touristen eher unbekannte Metropole weitaus mehr zu bieten. Nur 120 km von Peking entfernt liegt sie an der Stelle, wo sich der Fluss Hai He und der Kaiserkanal treffen. Tianjin bietet einen charmanten Mix aus westlichen Einflüssen und chinesischer Lebensfreude. Ich habe mich auf Anhieb in die Stadt am Mandschurischen Meerbusen verliebt!
Bereits das Einfahren in Tianjin ist beeindruckend! Nach internationalem Flug und anderthalb Stunden auf einer chinesischen Autobahn mit immer gleicher Seitenbegrünung tauchen allmählich Hochhäuser auf und plötzlich befinde ich mich mittendrin. Mein erster Eindruck ist positiv: breite alleenartige Straßen, geschäftiger Trubel und eine architektonische Kombination aus Hochhäusern und alten prunkvollen Gebäuden der wechselvollen Stadtgeschichte. Es gibt aus dem Busfenster wirklich allerhand zu sehen. Nicht weniger als acht Konzessionen westlicher Länder, darunter Deutschland, Frankreich und Italien, haben der Stadt ihr heutiges Aussehen verpasst – und das sieht man an allen Ecken. Was mir besonders gefällt sind die vielen Alleen und der Fluss, der sich mitten durch die City schlängelt. Ich fühle mich ein wenig an meine Heimatstadt Hamburg erinnert, ebenfalls ein Tor zur Welt mit viel Wasser und viel Grün.
Dies ist in mehreren Hinsichten ein unvergessliches Erlebnis. Nach einem gemütlichen Spaziergang durch das Shopping- und Restaurantviertel Yangliuqing Town gelangen wir zum Hof der Familie Shi, wo sich verdächtig viele Kameraleute und Fotografen tummeln. Erst nach einer ganzen Weile wird unserer Gruppe bewusst, dass wir der Grund für diesen Aufruhr sind! Eine westliche Touristengruppe ist in Tianjin schon eine Attraktion. Wenn sie sich dann noch beim Meister persönlich die traditionelle Kunst der Neujahrsbilder erklären lässt und selbst den Pinsel in die Hand nimmt, ist es sicher einen Bericht wert.
Einer nach dem anderen von uns tritt vor und lässt sich vom Meister erklären was zu tun ist: Die filigrane Druckvorlage aus Holz wird mit einem großen Pinsel kräftig eingetuscht. Im nächsten Schritt legt man ein Reispapier darüber, streicht es vorsichtig fest und erhält einen kunstvollen Druck. Dies ist nur einer von sieben aufwendigen Schritten hin zum fertigen Neujahrsbild und ich erhalte ein Gespür dafür, wie viel Arbeit aber auch Leidenschaft dahinterstecken. Besonders angetan hat es mir die farbenfrohe Bemalung der Drucke, die ich live erleben darf.
Die Atmosphäre beim Bootsanleger mitten in der Stadt springt sofort über. Es herrscht Heiterkeit und trotz der doch ziemlich langen Schlange wird niemand ungeduldig. Die Aussicht auf das gegenüberliegende Flussufer und dessen Glitzerfassaden ist beeindruckend und vor allem bunt! Schließlich ist es soweit. Schier unendlich erscheint die Schar der Menschen, die das Boot verlassen, bis wir Platz nehmen können und unsere Fahrt beginnt.
Die Aussicht ist 360 Grad spektakulär – schillernd erleuchtete Hochhäuser soweit das Auge reicht und entlang der Ufer tausende von ausgelassenen Menschen, die den Abend am Wasser genießen. Hier und da dringt der Gesang lauthals trällernder Hobbysänger an unsere Ohren und gelegentlich kann man Gruppen von Tänzern beobachten. Plötzlich ertönen Grüße aus unmittelbarer Nähe – ja, auch geschwommen wird hier zur Abendstunde und die Schwimmer winken fröhlich dem vorbeifahrenden Boot. Die Fahrt führt schließlich unter dem Wahrzeichen der Stadt hindurch, dem rot beleuchteten Riesenrad Tianjin Eye. Morgen geht es da hinauf und ich freue mich schon sehr darauf, die Stadt von oben zu sehen.
Ich gebe es zu, auf dieses Erlebnis habe ich mich bereits in Deutschland am meisten gefreut. Auch wenn mir auf dem nur halb so hohen Hamburger Riesenrad die Höhe bereits zu schaffen macht, ahnte ich doch, welch unvergleichliche Aussicht sich mir aus 120 Metern Höhe wohl bieten würde. Und ich wurde nicht enttäuscht! Gemächlich kommt das Rad in Gang, als wir unter den ersten Besuchern davorstehen. Eine rote Gondel nähert sich und es gilt bei laufender Fahrt einzusteigen. Gar nicht so einfach als Gruppe von sechs kichernden Gästen. Dann schiebt sich unsere Gondel immer höher und der Blick wird von Minute zu Minute atemberaubender – ein Meer von Hochhäusern soweit das Auge reicht wird von einem blauen breiten Fluss geteilt. Wer Tianjin besucht, darf sich dies auf keinen Fall entgehen lassen!
Hier ist es voll! Fast alles, was das chinesische Kunsthandwerk zu bieten hat, findet man in der Kulturstraße. Ob Neujahrsbilder, Siegelschnitzereien, Seidenmalerei, kunstvolle Lampions oder traditionelle Mode – wer Souvenirs braucht wird hier fündig. Und von überall her riecht es verlockend nach allerlei Köstlichkeiten. Darunter der „Jianbing Guosi“, der berühmte Tianjin Pfannkuchen, der mehr als eine Person satt macht. Wir drängen uns durch die Menge und erstehen das ein oder andere Mitbringsel, bis unser Reiseleiter uns durch ein kunstvoll geschnitztes Tor hindurch winkt. Auf einmal wird es sehr ruhig und andächtig. Wir finden uns im weitläufigen Tempelkomplex der Schutzgöttin Mazu wieder, der Patronin der Fischer und Seeleute. Gleich gegenüber befindet sich eine Bühne im klassischen Stil, wo an den Wochenenden gesungen und getanzt wird. Die Bewohner von Tianjin mögen die Geselligkeit, das wird mir am meisten in Erinnerung bleiben von meiner Reise.