Die Geschichte des Hamburgers John Rabe, der zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges in der chinesischen Stadt Nanking lebte und arbeitete, ist eine von jenen, die niemals in Vergessenheit geraten darf. Sie erzählt von einem fürchterlichen Verbrechen an der Menschlichkeit, als im Winter 1937 japanische Truppen in Nanking einfielen und über 250.000 Chinesen auf grausame Weise ermordeten. Und sie berichtet über den Mut einer kleinen Gruppe ausländischer Ärzte, Missionare und Geschäftsleute, darunter John Rabe, die eine Schutzzone einrichteten und gemeinsam mehr als 200.000 Menschen das Leben retteten.
Ein Gespräch mit Nachhall
Das Leben und Wirken von John Rabe wurde bereits in vielen medialen Angeboten aufbereitet. Bücher und sogar ein Spielfilm berichten über die Geschehnisse des Nanking Massakers und des sogenannten „Schindlers aus China“. In diesem Jahr folgt die orchestrale Europapremiere der Oper „170 Days in Nanking“, die von dem chinesischen Starkomponisten Tang Jianping inszeniert wird. Am 06. Juli 2019 kann das Publikum im Großen Saal der Elbphilharmonie in Hamburg das renommierte Opern- und Tanzensemble und das Symphonieorchester der Jiangsu Performing Arts Group sowie das Suzhou Symphonieorchester in einer meisterhaften Oper erleben. Es geht um die Schrecken des Krieges, um Tod und Verzweiflung, doch vor allem auch um Mut, Hoffnung und den Glauben an die Menschlichkeit.
Zu diesem Anlass erhielt China Tours die außergewöhnliche Gelegenheit, ein Interview mit Thomas Rabe zu führen. Er ist John Rabes Enkel und engagierter Vertreter für die Völkerverständigung. Neben seiner Tätigkeit als Professor für Frauenheilkunde und Geburtshilfe war Thomas Rabe selbst 30 Jahre in der Entwicklungshilfe im asiatischen Raum beteiligt, verfasste diverse Fachbücher, auch über die Geschichte seines Großvaters, und gründete mehrere Friedensinstitute.
China Tours: Sehr geehrter Herr Rabe, wie sehr hat Sie die Geschichte Ihres Großvaters begleitet, als Sie aufgewachsen sind?
Thomas Rabe: Leider habe ich meinen Großvater persönlich nie kennengelernt, da er fast genau ein Jahr vor meiner Geburt verstorben ist. Über China habe ich viel von meinem Vater erfahren, der selbst in Peking geboren ist und 14 Jahre in China gelebt hat. Wenn wir chinesischen Besuch zu Hause hatten, wurde natürlich auch über meinen Großvater gesprochen, allerdings hat mein Vater niemals das Nanking Massaker erwähnt. Für mich als Kind waren ohnehin ganz andere Geschichten über meinen Großvater relevant, wie das Fangen einer Schlange mit einem Stock oder das Ausklopfen der Schuhe, um sie auf Skorpione zu überprüfen. Erst während meines Medizinstudiums in Heidelberg habe ich mich intensiv mit der Familiengeschichte auseinandergesetzt über Gespräche mit meinem Vater und meiner Cousine Ursula Reinhardt, die meinen Großvater persönlich kannte. So habe ich sehr viel über meinen Großvater erfahren: wie er in Hamburg aufgewachsen ist, über seine Zeit in Afrika und seinen Aufbruch nach China 1908 im Rahmen seiner Arbeit als General Manager von Siemens.
China Tours: Welchen Wert haben die Tagebücher Ihres Großvaters für Sie?
Thomas Rabe: Die Tagebücher waren während meiner Kindheit bei uns zu Hause, doch insbesondere die Bilder darin waren viel zu grausam für Kinderaugen. Erst als ich sie im Erwachsenenalter gelesen habe, wurde mir klar, welche historische Verantwortung ich habe. Ich habe erkannt, dass es sich um wahnsinnig wichtige Dokumente handelte, die die chinesische Geschichte widerspiegeln. Meine Eltern konnten sich nicht sehr intensiv mit den Büchern befassen und hatten ursprünglich daran gedacht, sie ans Bundesarchiv zu geben. Doch dann kam Erwin Wickert auf uns zu, der meinen Großvater als Student in den 30iger Jahren in China besucht hat. Er hat die Tagebücher redigiert und veröffentlicht. Das war eine sehr wichtige Sache und da wurden die Tagebücher zum ersten Mal bekannt.
Ich habe dann eine Homepage eingerichtet und ein Gästehaus für Besucher zur Verfügung gestellt. Dann habe ich mich intensiv mit den Tagebüchern beschäftigt und selber ein Buch über die Geschichte meines Großvaters, seine Freunde und seine Gegenspieler in Nanking geschrieben.
Alle Tagebücher über das Nanking Massaker, das müssten 10 oder 12 Bände mit über 2.000 Seiten sein, befinden sich heute im Besitz des chinesischen Staatsarchivs und sind Teil des UNESCO-Weltkulturerbes.
China Tours: Wie ist Ihre persönliche Beziehung zu China?
Thomas Rabe: Die Begeisterung für Asien hat sich von meinem Großvater auf mich übertragen! Ich pflege einen sehr engen Kontakt mit verschiedenen Stellen in China und werde das nächste Mal im September hinfliegen. Bei meinen Reisen besuche ich regelmäßig Nanking. Am 12. und 13. Dezember finden jährlich die Gedenktage für das Nanking Massaker statt, an denen ich bereits mehrfach teilgenommen habe.
Während meiner Zeit bei der Entwicklungshilfe, auch gemeinsam mit der WHO, war ich in vielen asiatischen Ländern aktiv. Mich hat interessiert, wie die Menschen vor Ort wirklich leben. Seit 2001 habe ich dann über 10 Jahre die Zusammenarbeit mit der Beijing Capital University, der größten Frauenklinik der Stadt, geführt. Mit dem Team vor Ort konnten wir viel bewegen. Diese enge Kooperation hat dazu geführt, dass ich im letzten Jahr die höchste Auszeichnung bekommen habe, die China an ausländische Experten verleihen kann, den Chinese Friendship Award. Das war natürlich eine sehr große Ehre für mich.
China Tours: Waren Sie selbst in Nanking im John-Rabe-Haus? Wie hat sich das für Sie angefühlt?
Thomas Rabe: Ich war im Jahr 2001 das erste Mal in China. Ursprünglich wollte ich mir das Land von meinem Vater zeigen lassen, doch seine Gesundheit hat das leider nicht zugelassen. Stattdessen bin ich mit meiner Mutter und einer Delegation angereist. Wir waren erschüttert, in welchem desolaten Zustand das Haus meines Großvaters zu diesem Zeitpunkt war. Es war nicht renoviert worden. Außen herum standen lauter Hochhäuser und es wurde überlegt, das Haus abreißen zu lassen.
Als ich nach Hause kam, habe ich sofort Briefe mit der Bitte um Erhaltung dieses Hauses an den chinesischen Ministerpräsidenten, an den deutschen Botschafter und an den Präsidenten von Siemens geschrieben. Bereits ein paar Tage später habe ich schon eine Antwort von Siemens erhalten, dass Geld gesammelt wurde und das Haus zu einem Friedensinstitut werden soll. Wir sind stolz darauf, dass das Haus meines Großvaters und damit eine wichtige Erinnerung an die chinesische Geschichte erhalten werden konnte.
Heute ist das John-Rabe-Haus ein Ort, an dem sich internationale Studenten aufhalten und Besucher in Kontakt kommen. Im Garten befindet sich eine Statue meines Großvaters, die von Prof. Wu Weishan vom Institute of Sculpture Art der Nanjing University, einem berühmten chinesischen Künstler für Bildhauerei, angefertigt worden ist. Außerdem gibt es ein kleines Museum und das Haus ist eines unserer sechs Kommunikationszentren.
China Tours: Sind Sie Überlebenden des Nanking Massakers oder ihren Nachkommen begegnet?
Thomas Rabe: Ja, wir hatten Kontakt zu Überlebenden und das war eine unglaublich bedeutende Erfahrung. Wir haben Interviews geführt, von denen man Fotos in meinen Büchern sehen kann. Die Überlebenden haben davon erzählt, wie sie bei Regenwetter im Garten unter einer Hakenkreuzflagge gewohnt haben, weil das der sicherste Ort bei Bombenangriffen war. Wichtige Einrichtungen, wie Botschaften und das Rote Kreuz, haben sich durch Flaggen geschützt, damit die japanischen Flieger wussten, dass es sich um internationale Gebäude handelt, die verschont wurden.
Nanking hatte zu Zeiten des Massakers 1,2 Millionen Einwohner, jetzt sind es über 3 Millionen. Die Stadt lebt natürlich von ihrer Geschichte. Sie ist umgeben von der Mauer der Ming-Kaiser, die mit 30 Metern Höhe und 20 Metern Breite über 600 Jahre die Stadt beschützt hat. Gegen Bomben, Panzer und Flugzeuge war die Stadt natürlich nicht zu verteidigen.
China Tours: Was bedeutet „Zivilcourage“ für Sie?
Thomas Rabe: Zivilcourage heißt, dass man den Mut besitzen muss, etwas zu verändern, wenn Unrecht geschieht. Zivilcourage heißt nicht, wenn jemand überfallen wird, als Erster einzugreifen und sein Leben zu riskieren, sondern gezielt vorzugehen, Hilfe zu holen, zu alarmieren und nicht wegzuschauen.
China Tours: Was sagen Sie zu dem Opern-Projekt „170 Days in Nanking“?
Thomas Rabe: Die Oper habe ich mir bereits in Nanking angesehen und insbesondere da mein Großvater und seine Familie nach dem Krieg eine schwierige Zeit zu überstehen hatten, freut es mich sehr, dass ihr Engagement auf diese Weise gewürdigt wird. Ich möchte aber gerne erneut darauf hinweisen, dass die Oper meinen Großvater in den Vordergrund stellt, da er der Vorsitzende von dem internationalen Komitee war. Aber natürlich gebührt auch den anderen beteiligten Missionaren, Ärzten und Geschäftsleuten Ruhm für ihre Taten.
Ein Vortrag von Thomas Rabe im Rahmen der Oper „170 Days in Nanking“
Zur orchestralen Premiere der Oper „170 Days in Nanking“ in der Elbphilharmonie am 06. Juli laden wir Thomas Rabe als Ehrengast ein. Herr Rabe wird für uns am Freitag vor dem Konzertabend einen exklusiven Vortrag halten mit dem Titel „John Rabe und Nanking 1937/1938“. Im Rahmen eines chinesischen Dinners im erstklassigen Restaurant Ni Hao in Wandsbek laden wir Sie ein, etwas über die Geschichte von Nanking und das Erbe von John Rabe zu lernen und mit uns zu diskutieren.
Wann: Freitag, 05. Juli 2019 um 19 Uhr
Ort: Restaurant Ni Hao, Wandsbeker Zollstraße 25-29, 22041 Hamburg
Preis für Abendessen mit Vortrag: € 25,-
Anmeldung: info@gdcv.de