Bekanntermaßen steckt die chinesische Kultur voller Weisheiten. Da ist es nicht verwunderlich, dass man im Reich der Mitte für jede Situation genau das richtige Sprichwort parat hat – wenn nicht sogar mehrere. Heute möchten wir Ihnen einen authentischen Einblick in diesen Teil der chinesischen Kultur geben!
Sprichworte sind in China allgegenwärtig und werden auch heute noch gerne im Alltag herangezogen. Sie stammen aus Geschichtsschreibungen, beruhen auf Mythen oder Erzählungen. Eine Unterkategorie stellen die sogenannten Chengyu (成语) dar. Diese bestehen jeweils aus 4 Schriftzeichen und sind in Klassischem Chinesisch geschrieben. Heute gibt es schätzungsweise 5.000 – 20.000 dieser kleinen Weisheiten.
Chengyu sind typischerweise an Geschichten oder Legenden geknüpft. Es kommt daher vor, dass das Sprichwort allein für sich nicht direkt verständlich ist. Häufig muss man sich erst mit der dahinterstehenden Geschichte befassen, um die eigentliche Aussage zu begreifen. Das Sprichwort „破釜沉舟“ (pò fǔ chén zhōu – dt. Zerstört die Töpfe, versenkt die Boote) basiert zum Beispiel auf einer historischen Begebenheit. General Xianyu befahl seinen Truppen, alle Küchenutensilien und Boote der Feinde zu zerstören, nachdem sie in ihr Territorium eingefallen waren. Aufgrund dieser Strategie konnte er den Kampf für sich entscheiden. Eine ähnliche Redewendung im Deutschen wäre "Den Rubikon überschreiten". Dieses Chengyu lässt sich allerdings nur auf erfolgreiche Szenarien anwenden, da es in der Geschichte dahinter nicht um das Scheitern geht.
Unter den Leuten aus Sòng gab es einen, der einen Acker pflügte. Inmitten des Ackers gab es einen Baumstumpf. Plötzlich rannte ein Hase los, prallte gegen den Baumstumpf, brach sich das Genick und starb. Daraufhin legte der Mann seinen Pflug beiseite und bewachte den Baumstumpf in der Hoffnung, wiederum einen Hasen zu erbeuten. Das gelang ihm nicht und er machte sich zum Gespött des ganzen Landes Sòng.
Nun, diejenigen, die mit den Regierungsmethoden der früheren Könige das heutige Volk regieren wollen, sind allesamt vom Schlage derjenigen, die Baumstümpfe hüten.
Die Kritik richtet sich gegen Menschen, die stur an ihren alten Vorstellungen festhalten. Zusätzlich lässt sich diese Redewendung mit dem Ausdruck "darauf warten, dass einem etwas in den Schoß fällt" vergleichen. Man kritisiert die Torheit derer, die sich einzig und allein auf ihr Glück verlassen und die erforderliche Anstrengung umgehen wollen. Dieses Chengyu kann außerdem benutzt werden, wenn jemand erwartet, dass sich etwas genauso wiederholen wird, wie es schon einmal in der Vergangenheit passiert ist.
Unter den Leuten aus Song gab es einen, der mit Alkohol handelte. Er begegnete den Kunden aufmerksam und der Alkohol war sehr gut. Dennoch verkaufte er nichts, der Alkohol wurde sauer. Der Mann wunderte sich über den Grund dafür und fragte den Ältesten des Wohnblocks, Yang Qian.
Yang Qian fragte: "Ist dein Hund wild?"
Der Mann erwiderte: "Selbst wenn der Hund wild wäre, aus welchem Grund verkaufe ich dann keinen Alkohol?"
Yang Qian antwortete: "Die Leute fürchten sich vor ihm."
Aus diesem Grund wurde der Alkohol sauer und konnte nicht verkauft werden.
Dieses Sprichwort sagt zum einen aus, dass störende Faktoren erst beseitigt werden müssen, um sein Ziel zu erreichen. Zum anderen weist es darauf hin, dass ein schlechter Umgang andere Freunde vertreiben kann.
Noch einmal 200 Meilen weiter gibt es einen Berg, der Faiju heißt. Auf ihm gibt es viele Maulbeerenbäume.
Dort gab es einen Vogel. Sein Aussehen glich dem eines Raben. Er hatte einen gestreiften Kopf, einen weißen Schnabel und rote Füße. Sein Name lautete Jingwei. Er rief seinen eigenen Namen.
Die war die jüngere Tochter des Yandi. Ihr Name lautete Nüwa.
Nüwa reiste zum Ostmeer und kehrte nicht zurück, weil sie ertrank. Darum verwandelte sie sich in Jingwei.
Sie trug beständig Hölzer und Steine aus den Westbergen und füllte damit das Ostmeer auf.
Der Zhang-Fluss entspringt dort, fließt ostwärts und mündet in den Gelben Fluss.
Die Legende von Jingwei stellt einen Moment des Trotzes angesichts unmöglicher Chancen dar. Ein junges Mädchen ertrinkt, kehrt als Vogel zurück und setzt sich in den Kopf, das Meer mit Zweigen und Steinen aufzufüllen. Obwohl sie vom Meer verspotten wird, gibt sie nicht auf, damit andere ihr tragisches Schicksal nicht teilen müssen. Ein deutsches Äquivalent zu diesem Chengyu wäre "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg."
Die meisten der Mythen, die hinter diesen Sprichworten stehen, sind nur fragmentarisch überliefert. Mythische Figuren und Ereignisse werden unter anderem in Anekdotensammlungen erwähnt. Der Mythos vom Hirtenjungen und der Weberin stammt zum Beispiel aus den "Erweiterten Bedeutungen der monatlichen Anweisungen", einer Sammlung aus dem 16. Jahrhundert. Hier wird wiederum aus einer nur in Fragmenten erhaltenen Anekdotensammlung aus dem 5. Jahrhundert zitiert.
Verfasser solcher Darstellungen haben die Erzählungen über mythische Figuren und Ereignisse häufig als Fakten begriffen und auch als solche festgehalten. Insbesondere in der frühen chinesischen Geschichtsschreibung werden mythische Figuren in den Ablauf der chinesischen Geschichte integriert. So gehen zum Beispiel die sogenannten Fünf Urkaiser auf mythische Kultheroen zurück.
Neben Mythenfragmenten in Anekdotensammlungen und Geschichtsschreibung ist außerdem die mythische Geographie "Klassiker der Berge und Meere" überliefert. Hierin finden sich zahlreiche Schilderungen von Fabelwesen und mythischen Ereignissen. Später wurden auch aus diesen sprichwörtliche Redensarten abgeleitet, wie etwa "Jingwei füllt das Meer auf".