Zwei Mal pro Jahr schreibt China Tours ein Nachwuchsstipendium für angehende Journalisten aus, die für unser Online-Magazin live aus China berichten. Das letzte halbe Jahr konnten Sie dort die Artikel und Kolumnen von Vanessa Dahlmann verfolgen. Ab März berichtet nun unsere neue Stipendiatin Isabelle Harbrecht aus China.
Schon während ihres Studiums der Regionalwissenschaften Ostasien in Köln zog es die junge Frau immer wieder nach China. Insgesamt zwei Jahre verbrachte sie mit Sprachstudium, Praktika und Reisen im Reich der Mitte. Inzwischen hat sie ihre Zelte in Deutschland ganz abgebrochen und lebt in Shanghai. Wir stellen Ihnen Isabelle vor und freuen uns auf viele spannende Berichte.
Warum hast du dich auf das Stipendium von China Tours beworben?
Ich habe zwei große Leidenschaften: Reisen und Schreiben.Das Stipendium von China Tours ermöglicht es mir beides zu verbinden. China hat mich bei jedem meiner Aufenthalte fasziniert. Im Rahmen eines Praktikums habe ich schon ein paar Zeitungsartikel aus Shanghai veröffentlicht. Was mir an dem Magazin von China Tours aber besonders gefällt, ist die Vielseitigkeit. Egal ob Reise-Tipps, Buchvorstellungen oder Kurioses aus dem Reich der Mitte, die Bandbreite der möglichen Themen ist einmalig und ich kann es nicht erwarten meiner Kreativität freien Lauf zu lassen.
Wie kam es zu deinem Interesse für China?
Ehrlich gesagt, war meine Entscheidung, Chinesisch zu studieren, eher eine Verzweiflungstat. Ich wollte in jedem Fall ein Studium, bei dem ich die Gelegenheit zu einem Auslandsaufenthalt haben würde. Mein Interesse an China, der Kultur und Geschichte, kam erst im Laufe des Studiums und vor allem nach meiner ersten Chinareise.
Warum hast du dich entschieden in Shanghai zu leben?
Warum Shanghai? Das frage ich mich manchmal selbst. Shanghai im Sommer, das ist heiß und feucht. Nur die Supermärkte sind so ausgiebig klimatisiert, dass der Schweiß auf der Haut gefriert.Shanghai im Winter, das ist kalt und feucht. Statt mit einer Zentralheizung wird die Kälte mit drei Lagen Thermounterwäsche und bitterem grünen Tee bekämpft. Dazu kommen sintflutartige Regenbäche, die den Verkehr regelmäßig zum erliegen bringen. Die Abgase machen das Atmen schwer und ein weißes Hemd ist nach drei Stunden asphaltgrau. Und natürlich: Menschen, Menschen, Menschen… Shanghai ist aber auch: Barbeque und ein kühles Bier in den Straßen der Altstadt, einen ganzen Tag im Teehaus sitzen und gar nichts machen, halblegale Punkkonzerte in den Kellerbars oder eine nächtliche Radtour durch die französische Konzession, im Schutz der alten Platanen vorbei an edlen Villen bis zum Hochhausmeer von Xujiahui.
Wenn ich an Shanghai denke, denke ich an meine Marktfrau, die immer die schönsten Karotten unter der Theke für mich hervorgeholt hat. Ich denke an die Chinesin, die plötzlich einen Schirm über mich gehalten hat, als ich im Regen an der Bushaltestelle stand und die zahnlose Oma, die jeden Morgen auf ihrem wackeligen Plastikhocker an der Straße saß und mir „Hello“ entgegen brüllte. Die schönen Seiten überwiegen die Nachteile und Shanghai ist vor allem eins: nie langweilig.
Wie oft warst du bereits in China und was hat dich am meisten fasziniert?
Da ich ja bei Beginn meines Studiums noch nicht mal mit Sicherheit sagen konnte, wo China auf der Landkarte liegt, habe ich nach dem ersten Semester eine vierwöchige Rundreise gemacht und seit da war ich fasziniert von Land und Leuten. Im weiteren Verlauf meines Studiums war ich noch zweimal, jeweils für ein Jahr in China. Am meisten fasziniert mich die Vielfalt des Landes. Da es von der Größe her mit Europa vergleichbar ist, sind die kulturellen und landschaftlichen Unterschiede vergleichbar mit denen zwischen Italien und Dänemark oder Portugal und Polen. Auch die Lebensstandards der Chinesen könnten größer nicht sein. Manchmal habe ich den Eindruck, für einen Shanghainesen sind seine Landsleute aus der Provinz exotischer, als ein amerikanischer Geschäftsmann, der in Shanghai lebt.
Worüber würdest du gern für unsere Leser schreiben?
Ich möchte darüber schreiben, wie es ist mit 1,3 Mrd. Chinesen und einem beträchtlichen Anteil Ausländer in einem Land zu leben, das sich in den letzten 30 Jahren wie kein anderes verändert hat. Ich hoffe, dass es mir gelingt, die Schönheit und Faszination von China in meiner Kolumne festzuhalten.
Du lebst in Shanghai - welches Lebensgefühl drückt die Stadt für dich aus?
Shanghai ist wie der Phönix aus der Asche. Die Stadt zerstört sich selbst und gerade das ist ihr Charakter. Ich kenne keinen Ort der Welt, an dem die Veränderungen so schnell stattfinden. Das ist positiv und negativ. Die Altstadt verschwindet mit jedem Tag mehr, andererseits wurde das alte jüdische Viertel erst wiederentdeckt, als die Bagger die erste Betonschicht der Häuser abgetragen haben und darunter alte deutsche Schriftzüge zum Vorschein kamen.
In Shanghai verfliegt die Zeit und man hat immer das Gefühl Zeuge von Fortschritt und Entwicklung zu sein, egal ob es sich dabei um Untertunnelung des Verkehrs am Bund oder die erste Gay Pride Veranstaltung in China handelt.
Du gehst gern joggen, kann man in Shanghai denn überhaupt joggen?
Da hast du jetzt einen wunden Punkt getroffen. Ich bin im Schwarzwald aufgewachsen und ich liebe es durch die Wälder zu joggen und auch der Kölner Stadtpark mit seinen Seen ist toll. In Shanghai bin ich eine Zeitlang durch einen kleinen Park gejoggt. Allerdings kommt man bei den ganzen Menschen, die singen, tanzen, rückwärtsgehen, ihre Vögel spazieren tragen und Taiji machen nicht wirklich vorwärts. Also versuche ich die Pfunde, die das fantastische chinesische Essen mit sich bringt, auf den Tretmühlen im Fitnessstudio wieder los zu werden.
Hast du einen Shanghai-Insider-Tipp für unsere Leser?
Ein Besuch in einem richtigen chinesischen Teehaus. Also nicht das Teehaus im Yu-Garten, sondern eines der vielen Teehäuser in dem die Shanghainesen ihre Wochenenden verbringen. Insbesondere an Sonntagen ist die Stimmung bei Grillenkämpfen, Pokerspielen und Familientreffen besonders angeheizt. Ein Besuch im Teehaus beinhaltet ein Buffet mit unzähligen kleinen Köstlichkeiten, also Hunger mitbringen… Ein Teehaus, das mir sehr gut gefallen hat, ist das Dehe Teehaus in der Jianguoxilu Nr.135.
Welches Buch hast du zuletzt über China gelesen?
Das war relativ schwere Kost: „Die Kunst des Krieges“ von Sunzi. Ein Klassiker, der vor über 2000 Jahren von einem unbekannten Autor verfasst wurde. Es steht nämlich nicht eindeutig fest ob es diesen Sunzi überhaupt gab oder wann genau das Buch verfasst wurde. Es handelt sich um Strategien, wie man seinen Feind überlistet. Mao Zedong hat „Die Kunst des Krieges“ ausgiebig studiert und heute noch haben diese Ratschläge auf viele Chinesen Einfluss, z.B. bei internationalen Vertragsverhandlungen.
Warum dürfen unsere Leser in Zukunft keine Kolumne von dir verpassen?
Meine Kolumnen werden so vielfältig sein, wie China selbst. Mal lustig, mal kritisch, mal wird es sich um ganz persönliche Erlebnisse handeln und mal werde ich Hintergründe zu aktuellen politischen Themen liefern. China wird bei uns in den Medien sehr einseitig dargestellt, wer China wirklich kennenlernen will, der muss es mit eigenen Augen sehen. Für alle die noch nicht im Reich der Mitte waren oder die schon einmal da waren und jetzt von der „China-Sehnsucht“ gepackt sind, wird meine Kolumne das China direkt und unmittelbar abbilden.
Vielen Dank für das Interview!