Neonblumen blühen grell auf, Lichtkaskaden stürzen von den Hochhäusern nebenan. Es ist früher Abend und die Luft über dem Huangpu-Fluss ist auf einmal ganz klar geworden. Stundenlang hatten tagsüber Smog und Nebel die City von Shanghai verhüllt, die wie keine andere für den Aufbruch und den Wandel Chinas steht. Eine Übermorgen-Stadt wird sie genannt, eine Metropole wie aus einem Science-Fiction-Film, gigantisch und unbarmherzig, ein maßloser Moloch von offiziell 18, wahrscheinlich aber längst über 20 Millionen Einwohnern. /Ein Artikel von Bernd Schiller.
Ein Himmelfahrtskommando der sanften Art, drei schnelle Fahrstühle, haben uns gerade auf die Wolke neun, die höchstgelegene Bar der Welt, schweben lassen. Sie krönt das Jin-Mao-Gebäude, eine Glas- und Stahl-Pagode von 88 Stockwerken. Das schönste Hochhaus Asiens ragt ebenso auffällig aus dem steinernen Meer des Pudong-Bezirks wie nebenan der Oriental Pearl Tower, der Fernsehturm. Dieses Leuchtfeuer des neuen Shanghai, glitzert und blinkt in den Stunden zwischen Tag und Nacht in allen Regenbogenfarben.
Auf seiner Plattform in 468 Meter Höhe werden keine Cocktails wie auf der Wolke neun serviert, dafür ist der Blick von dort oben noch einen Kick faszinierender. Aber von allen Gipfeln in Pudong, sogar noch aus meinem Zimmer im 27. Stock des Shangri-La-Hotels, raubt einem die Szenerie den Atem: Rechts und links eine Skyline, die die besten Architekten aus aller Herren Länder in den letzten knapp zwanzig Jahren entworfen und erbaut haben. Drüben auf der anderen Seite des Huangpu, prunken die Kolonialbauten am "Bund", der alten und neuen Prachtpromenade am Fluss.
Zwischen diesen Welten gleiten kleine, schlanke Boote und ausladende Schleppkähne durch das dunkle Wasser. Illuminierte Ausflugs- und Dinnerdampfer kreuzen von Pudong zur weltberühmten Uferstraße, von der vor etwa 90 Jahren der legendäre Ruf dieser Stadt ausgegangen war; verrucht und lasterhaft. Vicki Baum hat in ihrem Buch "Hotel Shanghai" die Ursprünge des ersten Aufschwungs auf diesen Nenner gebracht: "mit Opium und Schmuggel verdient".
Der Bund, heute wie einst von den Palästen der Banken und Versicherungen dominiert, spiegelt Hoffnungen und Probleme der Riesenstadt wider. Bettler schlafen zwischen den Säulen des Kapitals, die jungen Schönen schlendern unter Murano-Kronleuchtern durch die Schicki-Micki-Mall "Bund 18", vorbei an Cartier und Patek Philippe. Smarte Businessmänner, den Kaffee im Starbucks-Becher in der Hand, gönnen dem kostbar restaurierten Jugendstil im Eingang zur Entwicklungs-Bank keinen Blick.
In den Nachbargassen hocken wie eh und je die einfachen Leute vor den Garküchen am Straßenrand. Die neue Oberschicht aber schaut eher auf www.shanghaidaily nach, was angesagt ist: gestern noch das Paulaner-Brauhaus am nördlichen Bund, heute vielleicht das Mint oder das Sasha, beides teure und immer volle Etablissements im Retro-Look. Starköche verdienen in Shanghai längst mehr als in New York. In ihren Nobellokalen werden die Speisen so ambivalent zubereitet wie es der Stadt entspricht, sowohl leicht als auch schwer, sowohl scharf gewürzt als auch süß, gern in einer roten Sauce aus Soja, Öl und Reiswein, wie sie für die Shanghai-Küche typisch ist. Macht also nur der ständige Wandel die Atmosphäre dieser Stadt aus? Nur die Veränderung, die sich im wahnwitzigen Tempo neu erfindet – so schnell wie die Magnetschwebebahn, die seit 2003 den Flughafen mit der City verbindet und deren neue Linie demnächst das Ausflugsziel Hangzhou, 150 Kilometer entfernt, in 30 Minuten an die Metropole rückt ?
Immer mehr Hochhauswälder wuchern in die Ränder der Innenstadt und fressen gewachsene Viertel. Baukräne werden hochgezogen, noch ehe die Trümmer der alten Häuser abgeräumt sind. Mindestens 30.000 Tonnen Bauschutt sollen täglich auf Lastwagen gekippt und ins Niemandsland außerhalb der Stadt gefahren werden. Herr Hu, 25 Jahre alt und Informatikstudent, findet daran nichts Schlimmes. Er kann nicht verstehen, warum Ausländer immer das Alte suchen und bewahren wollen. Wir haben den jungen Mann ausgerechnet im Herzen der Altstadt getroffen, im "Garten der Zufriedenheit", einem beliebten Ort der Entspannung für Touristen wie für Einheimische. Einerseits ist für Herrn Hu die Abrissbirne ein Symbol des Fortschritts. Andererseits aber sind ihm aber auch die Traditionen wichtig. Zum Beispiel übt er jeden Morgen am Bund eine Stunde lang Tai Chi, jene fließend-stillen Bewegungen, die im Westen gern Schattenboxen genannt werden. Von dort, sagt er lächelnd, hat er nämlich den besten Blick auf die Hochhäuser von Pudong, jene Kulisse, die ihn so stolz macht.
Peter Hibbard lächelt etwas wehmütig, als wir ihm von der Begegnung mit Herrn Hu erzählen. Peter, Hobby-Historiker und Schriftsteller, ist Engländer und verheiratet mit einer Chinesin. Er lebt seit 25 Jahren in Shanghai, und er liebt es, das Klischee von der seelenlosen Wolkenkratzer-Metropole aufzubrechen. Das Hotel Shangri-La Pudong vermittelt ihn regelmäßig an Gäste, die auf der Suche nach dem Shanghai der Vergangenheit sind, nach dem alten China.
Im Hotel Astor, 1905 erbaut und über Jahrzehnte das feinste Haus am Platz, glänzt inzwischen wieder die Patina. Peter Hubbard frühstückt dort gern auf seinen Rundgängen und erzählt Anekdoten über die Epoche, in der Charly Chaplin und Albert Einstein im Astor logierten und die Passagiere der Ersten Klasse, die mit dem Schiff in den Fernen Osten gereist waren, hier zur Teatime einkehrten. Peter kennt natürlich auch die Hinterhöfe, in denen Jauchewagen noch immer im Dienst sind; solche pittoresk aussehenden, aber unhygienischen Viertel haben keine Überlebenschance. Immerhin gelten schon über 2000 Gebäude aus den Glanzzeiten der Stadt als geschützt. Peter ist optimistisch, dass es bald doppelt so viele sein werden. In die liebevoll renovierten Reihenhäuser aus dem alten Shanghai, Li Long genannt, ziehen neuerdings immer mehr Künstler, Designer, Architekten, Modeleute, die kreative Elite der Stadt.
Im Fuxing-Park tanzt hingegen das Shanghai der kleinen Leute: Rentner, Beamte, Arbeiter schwofen über die Spazierwege. Sie zahlen der Stadt einen kleinen Obolus dafür, dass sie mit ihren Rekordern Strom aus den Verteilerkästen zapfen. Walzer, Polka, Tango und chinesischer Pop schallen aus den Lautsprechern. Vor einem verdreckten Marx-Engels-Monument tragen junge Leute ein improvisiertes Federball-Turnier aus. Peter Hibbard mag diese Atmosphäre, die so gar nichts zu tun hat mit der glitzernden Welt von Pudong. Hier schlage das wahre Herz der Stadt, davon ist Hibbard überzeugt, hier und in den zahlreichen Tempeln und in den traditionelle Teehäusern. Vor allem dort trifft er immer wieder Bekannte, die er seinen Rundgang-Gästen vorstellt.
Zum Beispiel Zhang Shu Quin, eine Freundin seiner Frau. Die Zwanzigjährige serviert im Old Shanghai Teahouse an der Fangpang Road grünen Tee, der nach klassischem Ritus zubereitet ist. Es hat die junge Frau Monate gekostet, diese Zeremonie einzustudieren. Doch sie hat es gern gemacht, denn, so zitiert sie eine chinesische Weisheit: "Der Weg zum Himmel führt allemal an der Teekanne vorbei".
Quelle: Die Rheinpfalz am Sonntag, 49, 06.12.2009, S. 32
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