Beten für die Prüfung

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Ein sanfter Wind streicht durch die Bäume. Kaum ein Laut dringt von der Stadt herein. Ein paar Ausländer fotografieren eine Pagode. Ein Chinese sitzt auf einem Stein und liest. Eine Schildkröte reckt träge ihren Kopf aus dem kleinen See. Shanghais einziger Konfuziustempel liegt keine 20 Minuten Fußmarsch vom Yu Garten entfernt. Dennoch gelangen nur wenige Touristen auf den verschlungenen Wegen durch die Altstadt bis hierher.

Im Konfuziustempel passen sich die Menschen den Schildkröten an. Sie bewegen sich gemächlich, ohne dabei viele Geräusche zu machen. In der Ferne kann man den Lärm einer Baustelle hören, ansonsten ist es hier unter der Woche still. Ungewöhnlich für einen Tempel in China.

Das Mädchen hofft auf ein gutes Prüfungsergebnis

Wenmiao“, wie der Konfuziustempel auf Chinesisch heißt, wurde Mitte des 13. Jahrhunderts in der Song Dynastie erbaut. Die Gelehrten haben hier für die Beamtenprüfungen studiert. Lehrer unterrichteten ihre Schüler. Wie fast alle Tempel Chinas hat er die Kulturrevolution nicht überlebt. Die Roten Garden zerstörten die Hallen, verbrannten die Bücher und verscherbelten die alten Schätze. Erst in den 90er Jahren wurde „Wenmiao“ restauriert.

Ein kleines Mädchen nähert sich der Haupthalle des Tempels. Ihre Kniestrümpfe rutschen ein wenig. Der Pferdeschwanz wippt bei jedem Schritt von links nach rechts. In der Hand hält sie einige Räucherstäbchen. Während die Eltern sich unter die Bäume zurückziehen, zündet das Mädchen die Räucherstäbe an. Der Konfuziustempel wird im Frühjahr besonders häufig besucht. Dann finden in ganz China die Mittelschulprüfungen statt. Sie entscheiden, welche weiterführende Schule und welche Universität Chinas Schüler besuchen können. Wer eine gute Schule besuchen kann, dem stehen später alle Wege offen. Wer versagt, der muss sich mit einem schlecht bezahlten Job in einer Fabrik zufrieden geben. Deshalb kommen viele Schüler vor den Prüfungen mit ihren Eltern hierher, um den großen Gelehrten Konfuzius um Beistand zu bitten.

Das Mädchen betritt die Tempelhalle. Sie kniet vor dem Altar nieder und verneigt sich dreimal. Der Vater zündet sich draußen eine Zigarette an. Zwei Touristen verfolgen die Szene neugierig. In den Bäumen hängen unzählige kleine Zettel. Auf der Rückseite ist Konfuzius abgebildet. Auf der Vorderseite stehen die Wünsche von Shanghais Schulkindern: ein guter Schulabschluss, die Englischprüfung bestehen, die berühmte Fudan Universität besuchen können… Auch das kleine Mädchen mit dem Pferdeschwanz schreibt jetzt einen Zettel. Die Mutter schaut ihr über die Schulter. Bloß kein Zeichen falsch schreiben, dafür hätte Konfuzius mit Sicherheit kein Verständnis. Dann sucht die ganze Familie eine freie Stelle. Fast alle erreichbaren Äste in den Bäumen sind schon belegt. Schließlich wird der Vater aktiv. Er steigt auf eine Absperrung. Reckt sich und streckt sich, bis er einen Ast erwischt, an dem nur zwei Zettel hängen. Hier passt der Wunsch des kleinen Mädchens noch dazu. Die Familie strebt dem Ausgang zu. Ein pummeliger Junge wird von seiner Oma in Richtung Tempelhalle gezogen. Auch er wird Räucherstäbchen verbrennen, sich dreimal vor Konfuzius verneigen und dann einen Wunsch in die Bäume hängen. Auch er wird in wenigen Wochen in einem Klassenzimmer eine Prüfung ablegen, die für viele Chinesen, die wichtigste ihres jungen Lebens zu sein scheint.

Währenddessen dreht die Schildkröte weiter ihre Kreise, reckt ihren Kopf aus dem Wasser. Touristen mit Kameras, Chinesen mit Wunschzetteln, das alles bringt sie nicht aus der Ruhe.

Die Schüler schreiben ihre Wünsche auf kleine Zettel

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