Die Jahrtausende alte Chinesische Schrift entstand ursprünglich aus Zeichen, die in Orakelknochen eingeritzt wurden. Das war zum Ende der Shang-Zeit, also 16.-11. Jh. vor Chr. Das besondere an der Chinesischen Schrift ist jedoch geblieben: Die Worte werden aus Zeichen gebildet, Logogrammen, von denen jedes einzelne ein Bild für sich darstellt, kein Buchstabe, der nur in Zusammenhang mit anderen Lauten eine Bedeutung ergibt. Die Kalligraphie hat aus der chinesichen Schrift eine Kunst gemacht, in der es nicht nur auf die richtige Zeichenabfolge ankommt.
Die erste Schrift, der man einen Namen gab, fasste alle Schrifttypen zusammen, die während der Zhou-Zeit in Form von Bronze- oder Steininschriften existierten. Man nennt sie Siegelschrift, und sie wird auch heute noch für Siegel im amtlichen oder geschäftlichenVerkehr benutzt. Die darauf folgende Kanzleischrift fand sich erstmals auf Bambustäfelchen im aus dem 3. Jahrhundert v. Chr, genau wie die Halbkursivschrift und die Grasschrift. Mit der Einigung des Chinesischen Reiches durch den ersten Kaiser Qin Shi Huang im Jahr 221 v. Chr. wurde auch die chinesische Schrift zum ersten Mal landesweit vereinheitlicht. Die Schrift, welche nach der Han-Zeit (206 v.Chr.- 220 n.Chr.) zur Regelschrift wurde und damit bis zum 20. Jahrhundert die Entwicklung der chinesischen Schrift zum Stillstand brachte, war die Kanzleischrift.
Geschichte der Chinesischen Kalligraphie: Aus Schrift wird Kunst
Zur Kunst wurde das Schreiben in der Zeit der sechs Dynastien (3.-6. Jh.), gepflegt von den Literaten-Beamten. Aus dieser Zeit stammt auch der wohl berühmteste Kalligraph der gesamten Geschichte überhaupt, den auch heute noch jeder Chinese kennen dürfte: Wang Xizhi (303-361). Die Kunst der Kalligraphie bestand seit jeher aus der richtigen Mischung: Zum einen musste eine Kalligraphie Invividualität und einen eigenen Stil aufweisen; gleichzeitig musste aber auch erkennbar sein, dass der Künstler verschiedene Schreibstile und natürlich die Technik beherrscht, und so also auch seine Kenntnis der Geschichte der chinesischen Kalligraphie zum Ausdruck bringen können. Um ein guter Schriftmeister zu werden, bedurfte es jahrelanger Übung, und das war meist nur der obersten sozialen Schicht vorbehalten, da diese über Sammlungen und Lehrmaterial, und die nötige Muße verfügte. So entstand auch über die Zeit viel theoretische Literatur zur Kunst des Schreibens. Was bei all der Theorie auch heute noch das wohl Schwierigste sein dürfte: eine gute Kalligraphie muss immer auch eine gewisse Spontaneität aufweisen, aus der sie entstanden sein sollte.
Insgesamt existieren über 80.000 chinesiche Schriftzeichen, von denen allerdings 85 % nicht gebraucht werden. Im täglichen Gebrauch genügen etwa 5000 bis 8000 Zeichen, die Kenntnis ist je nach Bildungsstand unterschiedlich. Zwischen 1956 und 1964 wurde eine Schriftreform durchgeführt, durch die die sogenannten Kurzzeichen, die heute in der VR China verwendet werden, entstanden. Dabei handelt es sich um vereinfachte Formen der Langzeichen der tradtitionellen Literatenschrift. In der Kalligraphie werden jedoch nachwievor meistens die traditionellen Zeichen geschrieben, welche auf Taiwan auch nach wie vordie Normschrift darstellen.
Stillstand und Weiterentwicklung
Während der Ära Mao Zedongs erlitt die Kalligraphie einen Tiefschlag, denn Kunst war als etwas Reaktionäres verpönt und verboten. Kalligraphen wurden in der Kulturrevolution sogar gezwungen, eigenhändig ihre Werke zu verbrennen. Dennoch gab es zahlreiche Künstler, die, auch wenn Sie nicht ausstellen oder ihre Werke zeigen konnten, im Untergrund weiter arbeiteten. Diese wurden nach Ende der Kulturrevolution, in den 80er Jahren teilweise besonders bekannt, denn in dieser Zeit erlebte die Kalligraphie eine neue Blütezeit.
In den 90er Jahren hat sich die Kalligraphie weiter entwickelt, so dass in der Kunst heute verschiedene Stile nebeneinander existieren und unterschiedliche Künstler die Kalligraphie als Teil von abstrakter und experimenteller Kunst verwenden. Als Musterbeispiel für die neue künstlerische Bewegung gilt der Künstler Gu Gan, einer der Gründer der Bewegung, dessen Werke auch schon international ausgestellt wurden.
(Quelle: Staiger/Friedrich/Schütte 2003: Das Große China-Lexikon)