Bill Brown, gebürtiger Amerikaner und Professor in Xiamen, unterrichtet Betriebswirtschaft an der Universität und lebt bereits seit 24 Jahren in Xiamen. In dieser Zeit hat sich China sehr gewandelt und er hat viele Veränderungen miterlebt. Im Tischgespräch erzählt er uns von Stromengpässen an der Uni und ersten Ansätzen von Kapitalismus in Xiamen.
Y:Hallo Bill. Im Jahr 1976 schickte dich die U.S Air Force nach Taiwan. Was für Probleme hattest du in der Anfangszeit in China?
B: Als ich von der U.S Air Force damals nach Taiwan geschickt wurde war das für mich eine ganz andere Welt. Zunächst die Schriftzeichen und dann die Sprache. Es war alles komplett neu für mich, denn ich wusste nichts von China und konnte auch die Sprache nicht. Wenn man in Europa aufwächst und dann in ein Nachbarland geht versteht man zwar die Sprache vielleicht nicht mehr, aber man kann vermuten was die Menschen versuchen zu sagen. Die Körpersprache und die Mimik sind nicht so verschieden, doch das war auf Taiwan überhaupt nicht der Fall. Ich sollte am Flughafen abgeholt werden aber es kam natürlich niemand, sodass ich mich nach einigen Stunden selbst auf den Weg machte. Am Bahnhof verstand ich nichts und kaufte mir das billigste Fahrticket, ohne zu wissen, dass das billigste Fahrticket lediglich für Tiere ist. So verbrachte ich meine erste Zugfahrt neben Schweinen und Ziegen. An meinem ersten Wochenende außerhalb des Lagers habe ich mich hoffnungslos verirrt und eine Nacht draußen verbringen müssen. Das war die erste Woche und die war, denke ich, am schwierigsten. Auf das Festland China wurde ich durch Flugblätter aufmerksam, die direkt in unserer Air Base gefunden wurden. Polizisten warnten uns die Flugblätter nicht anzufassen, was mich aber nur noch neugieriger machte. Auf den Flugblättern waren Bauern und Akrobaten zu sehen, was nicht wirklich der Realität entsprach, aber mein Interesse für Festland China war geweckt. Wegen der Nähe zu Taiwan beschloss ich, die Provinz Fujian zu erkunden.
Y: Wann genau konntest du nach Fujian gehen?
Etwa zehn Jahre nach diesem Vorfall mit den Flugblättern. Wegen unterschiedlicher Ansichten und weil mir die Politik bei der U.S Air Force die betrieben wurde nicht gefiel, kündigte ich die Arbeit. Ich war damals jung und dachte wir wären die guten Jungs aber das war nicht der Fall. Daraufhin widmete ich mich meiner Ausbildung und machte meinen Master und auch meinen Professortitel - alles in der Abendschule und quasi nebenbei bis ich im Jahr 1988 nach Xiamen ging. Ich hatte sehr viel Glück, denn zu der Zeit bekamen Ausländer eigentlich keine Stelle an der Uni aber dadurch das in Xiamen ein neues Programm für Betriebswirtschaft entstand und niemand anderes zur Verfügung stand, wurde ich, nach einigen Klausuren, doch angenommen.
Y: Du lebst seit 24 Jahren in Xiamen. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Einfach alles. Allein die Größe der Universität.Das höchste Gebäude an der Uni war damals zwei stöckig und jetzt haben wir sogar einige Hochhäuser auf dem Campus. Die Spannung für Elektrizität war nie konstant, die Regulierung funktionierte nicht und wenn jemand im Nachbargebäude die Lichter anmachte, dann flimmerte es bei uns. Ich kann mich erinnern, dass die Stromnutzung der einzelnen Gebäude auf Listen aufgeteilt wurde. Natürlich hielt sich keiner daran sodass man mehr oder weniger immer ohne Strom unterrichtet hat. Es gab kein fließendes Wasser, sodass ich auch Eimer mit Wasser schleppen musste um den Haushalt zu versorgen. Es gab lediglich drei Buslinien die mehr oder weniger oft fuhren und auch immer voll besetzt waren. Es fehlte an alltäglichen Dingen, die das Leben lebenswert machen wie Klopapier - oftmals fühlte es sich eher an wie Sandpapier. In chinesischen Läden fand man zwei unterschiedliche Preise, einmal für Einheimische und dann für Ausländer, die dann doppelt so hoch waren. Es ging sogar soweit, dass Ausländer eine eigene Währung bekamen und gegen einen Bruchteil des eigentlichen Wertes einkaufen mussten. Dadurch waren wir gezwungen auf dem Schwarzmarkt einzukaufen und konnten es uns nicht leisten auf dem Campus zu essen. Auf dem Campus war es darüber hinaus so geregelt, dass lediglich Experten eine „komfortablere“ Wohnung, eine drei- Zimmer Wohnung, bekamen. Ich mit meinem Professorentitel galt in Xiamen aber nicht als Experte, denn in Xiamen galt ich als Ausländer nur als Experte wenn ich Englischlehrer war. Um mit meiner Frau und meinen Kindern nicht in einer Einzimmerwohnung zu enden, war ich gezwungen den Aufschlag zu bezahlen um in die komfortable Wohnung zu kommen. Trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse fanden wir hier sehr viele Freunde und auch viele Menschen, die uns unterstützt haben.
Y: Das alles klingt etwas frustrierend. Warum habt ihr euch nicht entschlossen China zu verlassen?
B: Meine Frau ist auf Taiwan geboren und aufgewachsen und unser beider Traum war es, nach China zu gehen und dort zu leben. Warum hätten wir unseren Traum aufgeben sollen? Wir blieben und es passierte sehr viel in den 90er Jahren. 1992 machte Deng Xiaoping seine berühmte Reise in den Süden um Unterstützung für seinen Reformkurs zu bekommen, daraufhin änderte sich auch in Xiamen sehr viel. In chinesischen Läden wurde man damals sehr unhöflich behandelt, denn es spielte keine Rolle ob man seine Arbeit gut macht oder schlecht – alle bekamen das gleiche Gehalt. Die Menschen waren gelangweilt, faul und nicht interessiert an der Arbeit. Doch mit den Reformen von Deng Xiaoping wurden Mitte der 90er Jahre plötzlich Menschen entlassen, was viele erschreckte. Diese Angst konnte ich direkt spüren, denn plötzlich wurde man als Kunde wahrgenommen und in vielen Ständen höflicher behandelt.
In einer Firma in Xiamen wurde sogar ein Bonus eingeführt, für Arbeiter die mehr Arbeit geleistet haben. Vorher galt immer, egal wie viel du produzierst, alle bekommen den gleichen Lohn. Mit diesem Bonusgedanken bekamen einige Arbeiter jetzt mehr Geld, wodurch andere die den Bonus nicht bekamen sauer waren und sich beschwerten. Nach der Beschwerde wurde von der Parteizentrale verordnet, dass alle den Bonus bekommen egal ob sie mehr gearbeitet haben oder nicht. Eine chaotische Zeit war das, aber auch gleichzeitig sehr spannend.
Y: In den chinesischen Rankings ist die Universität Xiamen sehr hoch gelistet, sie befindet sich unter den Top 30 von mehr als 2000 Hochschulen in China. Wie glaubst du entwickelt sich das in Zukunft weiter?
In der Tat ist Xiamen unter den Top 30, kann aber gegen die Schwergewichte Beijing und Shanghai nicht mithalten. Die Universitäten in diesen zwei Metropolen besitzen nicht nur sehr viel mehr Geld, sondern auch politische Beziehungen („Guanxi“). Dennoch hebt sich die Uni in Xiamen durch viele Auszeichnungen ab. Die Uni war einer der ersten Universitäten in China mit einer Fakultät für Wirtschaft und Handel, die erste Fakultät für Überseechinesen wurde ebenfalls in Xiamen gegründet, das erste Anthropologische Museum und noch viele weiter Dinge.
Y :Tan Kah Kee, der Gründer der Uni in Xiamen, ist das Paradebeispiel für einen Auslandschinesen. Erfolgreich im Ausland, investierte er einen Großteil seines Vermögens in Bildung. Ist das typisch für Menschen aus Fujian und falls ja, woher kommt das?
Ein wesentlicher Grund dafür, dass aus Fujian viele Überseechinesen kommen ist die Geographie in der Provinz. Fujian hat eine sehr bergige Landschaft und die Bauern hatten bereits sehr früh nicht genug Anbaufläche. Dadurch versuchten viele Chinesen ihr Glück auf Übersee und waren sehr experimentierfreudig. Nicht alle wurden reich aber selbst die Ärmsten schickten Geld zu den Verwandten nach Fujian. Diese waren wiederum sehr offen für andere Kulturen und Sprachen. Viele Missionare und Händler kamen aufgrund dieser Offenheit nach Fujian und viele lernten, wenn sie Chinesisch lernten, auch den Fujianer Dialekt, denn die meisten Chinesen im Ausland kamen aus Fujian. Sie lernten nicht Mandarin, was ja die eigentliche Amtssprache war, sondern den Dialekt aus Fujian. Die Auslandschinesen waren zwar eine kleine Gruppe aber sie waren untereinander gut vernetzt und oftmals sehr erfolgreich. Viele von ihnen spendeten ihr Geld nicht nur in Bildungseinrichtungen sondern auch in Krankenhäuser.
Y: In einem deiner Bücher bezeichnest du die Provinz Fujian als Schmelztiegel. Was genau meinst du damit?
In religiöser Hinsicht ist Fujian ein großer Schmelztiegel denn hier befinden sich drei Franziskanische Kirchen die von der Provinz mitfinanziert wurden. In Quanzhou gibt es Moscheen, die nach Vorlagen von Moscheen aus Damaskus erbaut wurden. Das ist auch einer der Gründe warum im Jahr 1992 die UNESCO Quanzhou zum Weltmuseum der Religionen („World Museum of Religion“) ernannt hat. Der Schmelztiegel wird auch deutlich, wenn man bedenkt, dass vor 700 Jahren auch Muslime in der Provinzregierung von Fujian vertreten waren. Fujian war ein kultureller und kommerzieller Knotenpunkt, den sogar Marco Polo besucht hat.
Y: Was sind deine Lieblingsorte in Xiamen und in Fujian?
B: In Xiamen bin ich ein absoluter Fan von der Insel Gulangyu, denn mir gefällt die Ruhe und die Tatsache, dass es keine Autos gibt auf der Insel. Die Xinjie Kirche gefällt mir ebenfalls sehr gut und auch der Nanputo Tempel, nicht weil ich ein sehr religiöser Mensch bin, sondern weil die Orte viel Geschichte besitzen. In Fujian gefällt mir Quanzhou sehr gut weil es ein sehr historischer Ort ist mit seinen Moscheen und Kirchen. Die runden Hakka Häuser in Yongding sind ebenfalls sehr sehenswert und natürlich Wuyishan, das UNESCO Weltkulturerbe, mit seinem Tee und der atemberaubenden Landschaft.
Y: Du bist auch Internationaler LIVCOM Event Koordinator; warum genau handelt es sich dabei?
B: LIVCOM ist die Abkürzung für Liveable Communities (lebenswerte Kommunen) und ist ein internationaler Wettbewerb, der von den Vereinten Nationen ausgetragen wird. Sehr viele Städte in der Welt haben ähnliche Probleme und können bei LIVCOM Ideen zur Lösung austauschen. Es kann sich jede Stadt bewerben und muss zu unterschiedlichen Kategorien wie „Verbesserung der Landschaft“ oder „Gesunder Lebensstil“ eine Präsentation halten. In dieser Präsentation muss der Sprecher die Jury davon überzeugen, was genau in seiner Stadt in diesem Bereich passiert. Es dient vor allem dem Informationsaustausch und zur Gedankenanregung, denn oftmals hat die eigene Stadt ein Defizit und das ist dann genau die Stärke einer anderen Stadt. Dadurch entsteht ein Austausch und neue Ideen zur Umsetzung in der eigenen Stadt. Dabei unterstütze ich chinesische Städte und helfe ihnen bei der Vorbereitung.
Y: Vielen Dank für das interessante Gespräch und vielen Dank für deine Zeit!