Reisen in China ist abenteuerlich. Nicht nur die zu besuchenden Orte allein, sondern auch die Fahrten dazwischen tragen maßgeblich zu einem unvergesslichen Erlebnis bei. Ob per Fahrrad, zu Fuß, mit Schiff oder Bahn, alle Arten der Fortbewegung haben in China ihre ganz besondere Charakteristik.
Verfasst von Lukas Weber
In einem Land das so riesig ist wie China muss es notwendig viele Möglichkeiten geben, um von A nach B zu gelangen. Die populärste und einfachste der Fortbewegungsmethoden ist bei vielen zugleich die unbeliebteste, denn sie ist sowohl langsam, als auch mit körperlichem Aufwand verbunden. Um das Gehen auf zwei Beinen zu beschleunigen bzw. zu reduzieren, werden daher weder Kosten noch Mühen gescheut. Stufen, Rolltreppen und Lifte sind die Standardlösungen der Moderne auf das Problem der „körperlichen Überanstrengung“.
Wir kennen diese Dinge auch im Westen, allerdings lediglich in primitiver Ausführung. Wo man sie hingegen in China vorfindet, ist oft mehr als erstaunlich: Etwa am Pagodenberg in Dujiangyan, der bequem mit der Rolltreppe bewältigt werden kann. Oder bei der Besteigung des heiligen Emei-Berges in Sichuan, zu dessen Gipfel mehrere, insgesamt über 20.000 Stufen zählende Stiegen hinaufführen. Der exzessive Stufenbau auf chinesischen heiligen Bergen, hat allerdings weniger mit Bequemlichkeit zu tun – 20.000 Stufen sind schließlich kein Zuckerschlecken – sondern dient dazu Orte zugänglich zu machen, die sonst für ein breites Publikum unerreichbar wären (s. Huashan). Außerdem tragen die Stufen zur Sicherheit bei und erlauben es so mancher modebewussten Chinesin, auch im Hochgebirge nicht auf ihre High Heels verzichten zu müssen.
Verschiedene Arten des Stadtverkehrs
Die nächsthöhere Stufe der Fortbewegung ist das für China einst charakteristische „Fahrrad“. Während der Name dieser Fortbewegungsmaschine in Europa noch immer als Imperativ verstanden wird („Fahr! Rad!“), sind die Chinesen zu einer adjektivischen Interpretation übergegangen (das „fahrende Rad“). Mit dieser Differenzierung einhergehend erfolgte der Austausch der Pedale gegen eine elektrische Batterie, welche jegliche körperliche Anstrengung des Benutzers obsolet macht. Die elektrischen Räder sind nicht nur bequem, sondern auch völlig geräuschlos, was unter dem Aspekt der Lärmbelastung ein besonderer Pluspunkt ist.
So beliebt diese Art der Fortbewegung unter Chinesen aber auch ist, sie hat Kehrseiten. Vor allem der zu ihrer Inbetriebnahme benötigte Strom stellt ein großes Problem dar. China investiert zwar wie kaum ein anderes Land in den Ausbau seiner erneuerbaren Energiequellen, gleichzeitig verfeuert es knapp 50% der weltweit produzierten Kohle. Derzeit basieren noch über 60% seiner Energieproduktion auf diesem Rohstoff, weshalb die elektrischen Fahrräder alles andere als umweltfreundlich sind.
In Sachen Abgas müssen natürlich auch Personenkraftwagen erwähnt werden, von denen es von Tag zu Tag mehr auf Chinas Straßen gibt. Allein in Beijing werden täglich 1000 Neuzulassungen ausgestellt, wobei man sich in Anbetracht der ohnehin schon krassen Verkehrssituation (vom Smog ganz zu schweigen) fragen muss, wie das überhaupt möglich ist. Die Stadtregierungen haben daher zur Auslastung die PKW-Nutzung je nach Nummernschild sukzessiv auf gerade bzw. ungerade Kalendertage eingeschränkt.
Doch in den chinesischen Städten, vor allem in Metropolen wie Shanghai oder Beijing, ist das U-Bahn System gut ausgebaut und wird laufend erweitert. Auch in anderen Großstädten Chinas sind öffentliche Verkehrsmittel unter den meist genutzten Transportmöglichkeiten.
Langstreckenverkehr
Auch das Schiff darf als Fortbewegungsmittel nicht unerwähnt bleiben. Ob im städtischen Park mit Paddel oder Elektromotor, mit dem Schnellboot von einer Insel Hongkongs zur andern, ob einst über tausende Kilometer entlang des Großen Kanals oder heute auf einem Passagierdampfer durch die drei Schluchten, ob als Fischer auf einem rustikalen Einbaum oder auf Xiamens Fähre nach Gulangyu – Bootfahren ist eine Sache die in China nicht erst erfunden werden muss und sich großer Beliebtheit erfreut.
Besonders angenehm ist dabei die Sanftheit und Langsamkeit der Fortbewegung, ein Umstand den viele Reisende an Bord zu ausgesprochen kindischen Unterhaltungsmethoden greifen lässt, andere wiederum erst gar nicht zum Besteigen eines Schiffes motiviert.
Die ganz Eiligen reisen per Flugzeug, aber die große Masse liebt die Eisenbahn, welche auch mein persönlicher Favorit des Vorwärtskommens in China ist.
Das Abenteuer beginnt bereits beim Ticketkauf, bei dem man sich mit der nicht allzu einfachen Aufgabe konfrontiert sieht, in der überfüllten Verkaufshalle das richtige Ticket zum richtigen Zeitpunkt zu ergattern. Und dann auch noch auf Chinesisch!
Besonders frustrierend sind jene Erlebnisse, bei denen man eine Stunde und mehr in der Schlange steht, endlich an den Schalter kommt und motiviert sein in der Zwischenzeit memoriertes Sprüchlein aufsagt (Zugklasse XY nach… am… um…), nur um mit einem knappen MEIYOU, der Information, dass das Ticket bereits ausverkauft ist, unverrichteter Dinge wieder abziehen zu können. Umso erfreulicher ist hingegen das Erfolgserlebnis, wenn man sich, triumphierend das pinkfarbene Ticket in Händen haltend, in der Wartehalle wiederfindet.
Doch Ticket ist nicht gleich Ticket. Es gibt mehrere Klassen, vom „weichen Schlafwagen“ über „harte Sitze“ bis hin zu WUZUO (无座).
Letzteres heißt wortwörtlich „kein Sitz“ und ist zu den Hauptreisezeiten (Nationalfeiertage und Frühlingsfest) oft die einzige noch verfügbar Option, wenn man keine Gelegenheit hat, sich Wochen im Voraus um das Ticket zu bemühen.
Aus Erfahrung muss ich aber auch sagen, dass die billigen Klassen die unterhaltsamsten sind. Wo man gezwungenermaßen im intensivsten Körperkontakt mit den Mitreisenden ist, fallen auch schnell alle möglichen inneren Barrieren. So findet man sich beim Schachspiel auf dem Boden vor dem Zugklo wieder, in einer Gruppe heftiger Qualmer auf einem Berg von Reissäcken sitzend, beim gemeinschaftlichen Sonnenblumenkernknacken, in einem spontanen Live-Konzert eines flötespielenden Jungen, oder auch einfach nur beim Beantworten der immer gleichen Frage – „Where are you from?“
Beschaulicher geht es hingegen in den Liegewagen zu. Auch hier wird man nicht umhin kommen, die Identität seines Heimatlandes zu offenbaren, aber man kann auch für sich alleine auf der Schlafpritsche liegen und aus dem Fenster träumen – mit Musik im Ohr die Landschaft vorbeiziehen sehen.
Man trinkt Tee oder brüht sich eine Portion Instant-Nudeln, denn die chinesischen Züge (hierin offenbart sich ihre Überlegenheit gegenüber den europäischen) sind allesamt mit Heißwasserspendern ausgestattet.
Um Punkt zehn Uhr abends werden die Lichter gelöscht. Man schließt die Augen und das sanfte Ruckeln des Wagen vermittelt Gewissheit: Man ist unterwegs. In China.