Wo sich ein Großteil der Beijinger Seniorenschaft Morgen für Morgen auf den öffentlichen Gymnastikplätzen körperlich stählt; wo sich sorgende Großeltern um die Liebeszukunft der Kinder und Enkel bemühen und wo Transvestiten gesanglich auch um Anerkennung ringen, da ist der Himmelsaltar nicht weit.
Nur drei Kilometer Luftlinie südlich des Tor des Himmlischen Friedens findet sich ein Park, in dessen Mitte der Himmelsaltar liegt. Aber neben dem Himmelsaltar selbst gibt es noch einiges mehr, was hier entdeckt werden will. Beginnen wir also eine kleine Reise durch den Park am Osteingang des Parks, der mit der Metro an der Haltestelle Tiantan East Gate erreicht werden kann. Ein Besuch eignet sich am besten morgens – da beginnt das öffentliche Leben in China.
Rüstige Rentner zeigen, was sie können
Ich stelle mich an der Kasse an, um einen kleinen Obolus zu zahlen, um in den Park zu kommen. Dabei stehen verschiedene Tickets zur Auswahl, aber hier lohnt es sich, ein Ticket inklusive aller Sehenswürdigkeiten zu kaufen und nicht nur ein Ticket alleine für den Parkeintritt. Senioren ab 65 haben übrigens freien Eintritt. Das erklärt auch, warum der Park bei den älteren Chinesen so beliebt ist. Und bevor ich zur eigentlichen Attraktion des Parks – dem Himmelsaltar – komme, kann ich schon vorher sehr viel entdecken.
Da wäre nach einem kurzen graden Fußweg zum einen ein großer Sportplatz mit Geräten zur körperlichen Ertüchtigung auf der rechten Seite des Wegs, die auch noch den älteren Herren der Schöpfung die Chance geben, den Rentnerinnen durch ausgiebige körperliche Übungen zu imponieren. Hier kann man auch gerne mitmachen – es macht Spaß. Und man sieht immer wieder einzelne Rentner, die trotz ihres hohen Alters wie jugendliche Jungspunde am Reck die Loopings schlagen.
Keine 20m daneben lausche ich den Chinesen bei ihrer wohl liebsten Beschäftigung: dem Karaoke. Und jeder ist eingeladen mitzumachen. Ich wunder mich, dass hier auch Gruppen öffentlich auftreten, die in China eher weniger Beachtung finden. Hier habe ich auch schon Transvestiten gesehen. Aber auch getanzt wird gerne. Das Prinzip ist ganz einfach: Eine Vortänzerin bringt die Box und Musik mit und wer will, kann sich anschließen.
Ich suche – Ich biete
Begebe ich mich weiter in Richtung Mitte des Parks, komme ich, bevor ich den Himmelsaltar erreiche, zunächst zu einer Art Hochzeitsmarkt, der uns eher an das vorige Jahrhundert erinnern mag. Aber hier muss ich Entwarnung geben. Ehepartner werden hier nicht feilgeboten. Besorgte Großeltern wollen hier vielmehr um die Vorzüge ihrer Enkel werben. Frei nach dem Motte Ich suche – Ich biete.
Aufgewertet wird hier mit optischen Vorzügen, aber auch eine eigene Wohnung und das Einkommen spielen eine entscheidende Rolle. Die Wertung innerhalb der Charakteristika unterscheidet sich allerdings zwischen den Geschlechtern. Ist die Schwiegertochter gesucht, so stehen ein zierliches Aussehen und ein sanftes Gemüt im Mittelpunkt. Schwiegersöhne sollten in ihrem Leben schon etwas „erreicht“ haben. Also mindestens einen guten Job und im Idealfall auch eine eigene Wohnung. Hier wird aber niemand verkauft. Vielmehr ist es die analoge Version von Parship, Tinder und Lovoo.
Der Himmelsaltar
Zwar ist das Leben im Park um den Himmelsaltar genau so spannend, aber ich bin hier ja eigentlich wegen des Altars und diesen erreiche ich nun auch durch ein großes und imposantes rotes Tor mit 81 goldenen Knäufen. Hier beginnt nun auch die Symbolik des Ortes. Denn der Himmelsaltar war nicht immer nur der Altar des Himmels sondern anfangs auch der der Erde. Trotzdem der Erdaltar später outgesourct wurde und nun nördlich des Lamatempels zu finden ist, ist die alte Doppelfunktion immer noch erkennbar. Um dies auch heute noch zu erkennen, ist zu bedenken, dass in China runde Formen sowie ungerade Zahlen für den Himmel und umgekehrt eckige Formen gemeinsam mit geraden Zahlen für die irdische Welt stehen. Traditionell ist im Chinesischen die Neun die höchste Zahl und unter der Annahme des Kaisers als Sohn des Himmels steht ihm natürlich die Neun zu. Ganz einfach lässt sich somit erklären, warum bei Palästen und hohen Tempeln die Tore immer mit neun mal neun Knäufen verziert werden. Dies ist das Zeichen dafür, dass hier der Kaiser verkehrte.
Die Formen des HImmels und der Erde
Hier lasse ich jetzt einfach einmal die Formen und Zahlen für sich sprechen. Der Himmelsaltar ist rund und ist über 27 Treppenstufen rundherum zu erreichen, die in drei mal neun Teiltreppen unterteilt sind. Neun mal neun Knäufe ziert das Tor durch welches man die Mauer, die den eckigen Platz um den Altar herum umgibt, durchschreiten kann. Es fällt also auf, dass drei Elemente vertreten sind: das Himmlische, das Irdische und auch das Kaiserliche.
Dem Himmel huldigen
An diesem Ort wurden dem Kaiser, dem Mittler zwischen der irdischen und der himmlischen Sphäre, Opfer dargebracht. Dabei kamen die Gaben nicht nur aus dem Reich selbst, sondern auch aus den Vasallenstaaten. Meist natürlich zum Frühlingsfest – dem chinesischen Neujahr – und bis heute ist hier an diesen Tagen die Hölle los. Heute zwar weder Kaiser noch etwaige Gesandte, doch dafür unzählige Touristen. Auch deswegen eignen sich die früheren Morgenstunden oder der Vormittag am besten, um hier vorbeizuschauen. Nicht nur, dass man viel von dem eben beschriebenen Leben mitbekommt, sondern auch einen verhältnismäßig leeren Himmelsaltar.
Aber ich möchte bei meinem Rundgang durch den Park hier nun nicht länger verweilen, sondern weiterziehen. Meinen Eingang zum Himmelsaltar im Rücken, wende ich mich nun nach rechts und verlasse diesen wieder durch ein weiteres Mauertor auf einen offenen länglichen Platz. Dieser führt zu den beiden anderen großen Attraktionen hin – die Echomauer und der Mittelpunkt des Universums.
Die Echomauer wird ein normaler Tourist wohl nie richtig nutzen können, denn ihre Besonderheit verringert sich mit jedem Besucher, der sich innerhalb der runden Mauer befindet. Auf dem Boden sind einige Punkte markiert. Nach der Idee ist es möglich, wenn sich zwei Personen jeweils auf einem anderen Punkt befinden und in Richtung der Mauer reden (nicht schreien!), dass sie sich einander verstehen können. Eine Meisterleistung der akustischen Architektur. Dieses Vergnügen hatte ich noch nie und so ziehe ich doch meist direkt weiter zum gegenüberliegenden Mittelpunkt des Universums.
Der Mittelpunkt des Universums
Ich trete ein und muss, ähnlich wie beim Himmelsaltar, zunächst drei mal neun Stufen nach oben steigen, bevor ich auf der runden Erhöhung stehe. Schaue ich auf den Boden, erkenne ich wieder die Zahl Neun – etwas Himmlisches muss hier vor sich gehen. Neun Steinkreise mit einem emporragenden runden Mittelstein bilden den Boden. Ein Ring für einen Himmel. Und ja, nach der chinesischen Überlegung besteht das Universum aus neun Himmeln und in der Mitte genau befindet sich also der Mittelpunkt des Universums. Diese Geschichte weiß leider nicht nur ich, sondern auch jeder Chinese. Das merke ich, wenn er sich zuweilen unter Einsatz seines Lebens auf den Mittelstein schmeißt, um sich dort fotografieren zu lassen. Hier musste ich schon das ein oder andere Mal energischer darauf aufmerksam machen, dass auch ich ein Recht auf den Mittelpunkt des Universums habe.
Wo, wenn nicht hier, hat man die Möglichkeit, einen schönen Einblick in das chinesische Alltagsleben zu bekommen und die chinesische Geselligkeit kennenzulernen. Man darf sich nicht zieren: überall ist man willkommen mitzumachen. Egal ob Frühsport, gemeinschaftliches Tanzen oder eine kurze Gesangseinlage. Es fällt auf, dass sich viele Chinesen in ihrer Freizeit viel lieber draußen in Parks oder anderen Stätten treffen als in den eigenen vier Wänden. Dies trifft vor allem für Senioren zu. Während bei uns viele ältere Menschen oft nur noch zuhause auf dem Sessel sitzen und in die Röhre schauen, betätigen sich viele Rentner in China noch aktiv und erhalten sich so ihre Vitalität. Aber natürlich besticht auch der Himmelsaltar mit seiner Schönheit und Eleganz. Für mich eine der schönsten Sehenswürdigkeiten im ganzen Land.