„Ilha Formosa“ – die schöne Insel – nannten die Portugiesen Taiwan, als sie 1517 diesen schönen Flecken Erde entdeckten. Auch wenn dieser fast lyrisch anmutende Name heute nur noch in den Geschichtsbüchern auftaucht, erkannten die portugiesischen Seefahrer eine bis heute geltende Konstante: Schönheit. Zwar strandeten sie nicht gleich in Taipeh, aber das hat dieser wunderschönen Stadt auch keinen Abbruch getan.
Die Stadt mit zwei Gesichtern
Für mich, der den kahlen Norden des chinesischen Festlandes zwei Mal sein Zuhause nennen konnte, sind die südlichen Regionen immer eine angenehme Abwechslung. Statt zuweilen sibirischer Kälte wachsen hier in den subtropischen Regionen Maracujas, Mangos und Co.
2012 führte mich eine Summer School nach Taiwan. Genauer gesagt nach Taipeh. Eine Stadt, die mich bis heute fasziniert. Selten habe ich einen Ort gefunden, in dem die Tradition und die Moderne so gekonnt in einander übergehen. Zwischen modernen Gebäuden befinden sich noch die alten verwunschenen Tempel und Ahnenhallen. Sie mussten nicht Platz machen oder wurden gar neu errichtet. Nein. Sie fügen sich in das Bild einer sonst sehr modernen Stadt harmonisch ein. Eine Stadt mit einer nicht zu übersehenen homosexuellen Community und einem wunderschönen Wahrzeichen, dem 101. Dieser Wolkenkratzer vereint in einem Gebäude das, was die Stadt ausmacht: die klassische und traditionelle Form einer Pagode mit neuen Materialien. Und wer gedacht hat, er hätte in Peking oder Chengdu viele E-Roller gesehen, der war noch nicht in Taipeh. Nirgendwo auf der Welt scheint es mehr von diesen kleinen Flitzern zu geben.
Auf den Spuren von Mengjia
Taipeh ist nicht nur der Ort, an dem Geschichte auf Moderne trifft, sondern auch der, an dem mein liebster chinesischer Film spielt. „Monga – Gangs of Taipeh“, eine Triaden-Geschichte um Bruderschaft, Freundschaft und Verrat, hat seinen Drehort bereits im Namen. Monga – eigentlich Mengjia – ist der alte Name des Wanhua-Bezirks im Westen der Stadt. Die älteste Siedlung Taipehs ist in der Stadt selber zwar weniger für den Film bekannt, dafür aber für zwei riesige Nachtmärkte, das Rotlichtviertel und den Mengjia Longshan-Tempel (艋舺龍山寺).
Auf eine Spezialität sei auf den Nachtmärkten noch hingewiesen: Neben dem entsetzlich riechenden Stinke-Tofu, eine der wenigen Spezialitäten, mit denen man mich wirklich jagen kann, findet der kulinarisch geneigte Besucher an jeder Ecke Austernomletts (蚵仔煎). Eine schöne Alternative, Austern nicht immer zu schlürfen, sondern auch einmal gegart zu probieren.
Dieser Tempel ist mit Sicherheit der bekannteste in Taipeh und zählt auch zu den bekanntesten Tempeln in ganz Taiwan. Auf 1.600 Quadratmetern erstreckt sich der, der Göttin des Mitgefühls, Guanyin, gewidmete Tempel. Während der Qing-Zeit wanderten viele Han-Chinesen aus den südlichen Provinzen Guangdong und Fujian nach Taiwan aus. Hier versprachen sie sich auch eine bessere wirtschaftliche Situation durch den Seehandel. Um sich bei den Göttern für die geglückte und nicht ganz ungefährliche Überfahrt zu bedanken, errichteten sie viele Tempel, so auch den Mengjia Longshan-Tempel. Der 1738 von Einwanderern aus Quanzhou errichtete Tempel überlebte nicht nur eine Termitenplage, sondern auch den Chinesisch-Französischen-Krieg von 1884.
Von diesem Tempel ausgehend beginnen auch die Nacht- und Pflanzenmärkte sowie wenig später das Rotlichtviertel. Neben den wichtigen Stationen, wie z. B. dem Palastmuseum, der Sun Yat-sen Gedächtnishilfe und dem 101 findet auch das ganz normale Leben in der Stadt statt.
Die Teebergen von Pinglin vor den Toren Taipehs
Bei einer Gesamtgröße, die nur knapp über der Baden-Württembergs liegt (36.193 zu 35.748 Quadratkilometern), verwundert es nicht, dass man die Stadt sehr schnell verlassen hat und sich dann auf dem Land befindet.
Die Göttin Guanyin sollte uns an der Schwelle des Klosters nicht verlassen, sondern noch ein ganzes Stück weiter begleiten. Sie ist nämlich nicht nur eine reine Gottheit, sondern nach ihr ist auch einer der bekanntesten Oolong Tees benannt, der Tieguanyin. Einer der schönsten Ausflüge war 2012 unser Tagestrip zu den Teebergen von Pinglin (坪林區). Ich hatte mir bis dato noch nie darüber Gedanken gemacht, wie Tee wachsen würde und deshalb überraschten mich die kaum kniehohen Teesträucher. Eine Besonderheit Pinglins ist der Pouchong-Tee (包種茶). Geschmacklich liegt der leicht fermentierte Tee zwischen Grünem und Oolong Tee.
Immer wieder kommt man an Teebauern vorbei, die einen dann, natürlich in der Hoffnung eines guten Geschäfts, zu sich nach Hause einladen, um eine Teezeremonie durchzuführen.
Das Gebiet ist gut ausgeschildert und auch ohne Kenntnisse der Chinesischen Sprache kommt man gut zurecht. Nur bei den Teebauern wird es zuweilen etwas schwieriger.
Pilzsteine von Yehliu
Taipeh ist nicht nur ein guter Startpunkt für einen Tagesausflug in das südlicher gelegene Pinglin, sondern auch ideal für einen Fahrt an die Nordküste der Insel. Hier warten skurrile Steinsäulen darauf, entdeckt zu werden. Diese pilzähnlichen Steinformationen sind das ein oder andere Fotomotiv wert. Unter den vielen Steinen sticht einer besonders heraus: der Königinnen-Kopf. Er erinnert an die Büste der Nofretete. Den Yehliu-Geopark (野柳地質公園) erreicht man wunderbar mit öffentlichen Verkehrsmitteln und einem kleinen Fußmarsch.
Auf dem stillen Örtchen in Taipeh
Nach der beeindruckenden Natur um Taipeh machen wir nun noch einen kleinen Abstecher zurück in die Stadt und zu ihren skurrilen Seiten. Eine ist der Besuch der Restaurantkette Modern Toilet. Der Name ist Programm. Hier lernt der Gast: Auf dem stillen Örtchen kann nicht nur gelesen werden, sondern auch gespeist. Dies wird auf (unbenutzten) Toiletten sitzend von Tischen, die aus Badewannen mit einer Glasplatte bestehen, getan. Natürlich werden die Getränke nicht in Bechern gereicht, stattdessen in Urinflaschen, die ich sonst nur aus Krankenhäusern kenne. Auch dürfte es niemanden verwundern, dass in Miniatur-Hocktoiletten nur eine Eissorte serviert wird: Schokolade.
Fazit zu Taipeh
Taipeh habe ich 2012 direkt in mein Herz geschlossen. Eine muntere und bunte Stadt, die den perfekten Spagat zwischen moderner Mega-Metropole und der chinesischen Tradition geschafft hat. Wer sich in China immer auf die Nachtmärkte gefreut hat und zum eigenen Entsetzen feststellen musste, dass sie immer weiter verschwinden, der wird in Taipeh und den anderen Städten Taiwans fündig.