Die Altstadt in Peking: Im Dunstkreis der vielen Tempel lässt sich das moderne Leben der Großstadt schnell vergessen. Der Duft abertausender Räucherstäbchen, die in diesen spirituellen Zentren angezündet werden, um Kontakt zu Ahnen oder Gottheiten herzustellen, hängt in der Luft. Menschen pilgern zu den heiligen Hallen, um zu beten und Geld oder Nahrungsmittel zu opfern – sei es in der Hoffnung, dass ihre Wünsche erhört werden, oder um ihren Vorfahren im Jenseits ein Präsent darzubieten.
Auf der anderen Seite der Stadt: Laute Musik. Was von Außenstehenden vielleicht als ohrenbetäubender Lärm wahrgenommen werden mag, kann für den Kreis der meist jungen Leute in einem der kleinen Clubs, die über die ganze Stadt verteilt sind, nicht laut genug sein. Rockmusik dringt aus den Lautsprechern und bringt selbst das hartgesottenste Trommelfell gefährlich zum Vibrieren. Dennoch steht eine kleine Meute junger Leute im Publikum und bewegt sich im Takt. Wir befinden uns auf einem der vielen Konzerte lokaler Rockbands, die wahrscheinlich nie den Sprung von der kleinen, verrauchten Bühne in die Stadien der Welt schaffen werden, an diesem Abend aber dennoch vom großen Erfolg träumen.
Zwei Bilder, die unterschiedlicher nicht sein könnten, die aber dennoch beide typisch für die chinesische Hauptstadt sind, dass es durchaus möglich und passend ist, sie in einem Atemzug zu nennen – und zwei Szenen, die sich während meiner langen Aufenthalte in Peking so tief in mein eigenes Gedächtnis eingegraben haben, wie kaum etwas anderes.
Den Besuchern eines der Haupttempel der Stadt – sei es buddhistisch, konfuzianisch oder daoistisch – bietet sich besonders an klaren Wintertagen ein faszinierendes Bild. In der klirrenden Kälte der nördlichen Hauptstadt steigt der Rauch der Opfer-Räucherstäbchen fast gespensterhaft in die Höhe. Dabei weicht der Lärm der Großstadt im Tempel einer eigenartigen Stille, die von dem Gemurmel der Betenden durchbrochen wird. Eine eigenartige Stimmung, die so gar nicht zu dem Treiben auf der Strasse passen mag, inmitten der Tempelszenerie jedoch auch etwas in einem selbst anrührt, wenn man nur lange genug inne hält, um sie zu beobachten. Eine Spiritualität, die all diejenigen verbinden mag, die Tag für Tag den Tempel aufsuchen.
Und die Musik? Wie ich hier im Reich der Mitte feststellen konnte, hat sie eine fast ebenso spirituelle und verbindende Wirkung auf junge Chinesen wie ein Tempelbesuch. Für viele schaffen die Lieder ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das die Jugendlichen andernorts wohl selten finden. Ein Genre zu mögen bedeutet oft auch, ein Teil einer Bewegung zu sein – und für Rockfans bildet Peking das Zentrum, eine Art gitarrenlastiges Mekka. Denn so wie die Stadt nämlich einige der wichtigsten Tempel des Landes in sich vereint, bringt sie auch die einflussreichsten Künstler dieser Subkultur hervor.
Für mich ist so beeindruckend einem Südchinesen zu lauschen, der in Shanghai mit glitzernden Augen, von einer Stadt spricht, in der er nie war: „Peking ist die Wiege des chinesischen Rocks“.
Die Hauptstadt Chinas hat viele Gesichter – ob sie nun beten oder sich zu harten Beats bewegen. Denn letzten Endes ist sie, zumindest für mich, auch eine Stadt der Gegensätze: Tradition und Moderne, Politik und Protest, Konservatismus und Experimentierfreudigkeit.
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