"Und denkt daran, wenn ihr dieses Wochenende in die Westberge wollt, solltet ihr früh aufstehen..." Die Warnung der Radiomoderatorin erreicht mich an diesem Herbstmorgen zu spät, denn ich schlüpfe bereits durch die Haustür. Ich brauche Luft. Frische Luft. Und ein wenig Abstand von der Metropole. Aus diesem Grunde hat mich meine Freundin zu einem "Smog-Tag" mit Farbtherapie überredet: Seit Mitte Oktober herrscht in Peking nämlich ganz offiziell Indian Summer: Das 23. "Rote Blätter-Fest" in den Xiangshan Bergen hat begonnen.
So ganz stimmt das mit dem Smog-Tag natürlich nicht, denn wir befinden uns ja immer noch im Stadtgebiet. Aber immerhin bedeutet der Name Xiangshan so viel wie "die duftenden Berge". Es gibt also Hoffnung. Ein bisschen skeptisch bin ich schon. Warum man für ein paar rote Blätter so früh aufstehen soll, will mir nicht recht in den Kopf. Aber rot soll ja bekanntlich neue Energie verleihen. Und so stehen wir an der Bushaltestelle und warten auf 318, unser Fluchtfahrzeug aus dem Stadtzentrum, in dem der Smog - oder wie man in Peking sagt: der Dunst- in den letzten Tagen doch deutlich zu merken ist.
Xiangshan verheißt eine Atempause. Bereits im Jahr 1186 angelegt, wurde der Park im Laufe der Zeit von verschiedenen Dynastien immer wieder ausgebaut. Die größte Ausweitung fand in der Qing Zeit unter Kaiser Qianlong (1711- 1799) statt, der einen ganzen Komplex aus Seen, Pavillions, Pagoden und kleinen Gärten anlegen ließ. Leider währte die Pracht nicht lange. Mehrere Brände und auch die Besatzungszeit Pekings durch europäische Truppen haben ihre Spuren hinterlassen. Es brauchte beinahe ein halbes Jahrhunder ehe der Park restauriert war. Anfang der 50er Jahre wurde er dann für die Öffentlichkeit zugänglich.
318 lässt auf sich warten. Als er endlich angefahren kommt, müssen wir feststellen, dass die Smog-Tag Idee sich herumgesprochen hat. Als die Türen an der Endstation wieder aufgehen, quillt die Masse der Fahrgäste auf das Kopfsteinpflaster und in Richtung Parkeingang. Glücklicherweise gibt es in dem 160 großen Hekta Park genug Wanderwege und nach ein paar Metern wird es still. Wir genießen die morgendlich verschlafene Kulisse am Yanjing See und schlendern durch Säulengänge, die wie Bilderrahmen die Natur einfangen. Dann geht es an den Aufstieg.
Es gibt zwei Routen zum Gipfel: Die eine ist kurz und steil und (fast) schmerzlos, die andere lang und unwesentlich flacher, windet sich entlang unzähliger Treppenstufen nach oben. Wir entscheiden uns für letztere und schleppen uns tapfer von Stufe zu Stufe.
Hinter der nächsten Biegung ist die Verwirrung groß. Die kleine Reisegruppe aus Hangzhou ist erst seit zwei Tagen in Peking und der Ausflug zum berühmten Rote Blätter- Fest stand ganz oben auf ihrer Liste. Nun aber sind sie ratlos: In der Ferne schlängelt sich eine Mauer über die Berghänge. Die Große Mauer? Hier? Ist sie für die Große Mauer nicht ein bisschen mickerig? Glücklicherweise gibt es Frau Cui. Die ist Reiseleiterin und scharrt fähnchenschwenkend ihre Gruppe um sich, bevor sie zur Erklärung ansetzt. "Es ist natürlich nicht die Große Mauer, sondern lediglich eine Absperrung. Früher war das Gebiet um den Xiangshan Berg nämlich nur für den Kaiser und seine Familie zugängig." Erleichterung macht sich breit unter den Reisegästen, denen die Erklärungspause Zeit lässt, die Kräfte für den Endspurt zu mobilisieren.
Es lohnt sich: oben angekommen, schweift der Blick über ein Meer aus rot. In der Ferne die Dächer der Hauptstadt. Und dann suchen wir uns einen Rastplatz und atmen das rare Gut der duftenden Berge: frische Luft. Unser Smog-Tag war also doch noch ein Erfolg. Ein kleiner zumindest.
Info: Sechs Wochen lang können die Besucher Herbstlaub in allen Rot-, Gelb- und Grüntönen bewundern. Es empfiehlt sich allerdings, nicht gleich zu Anfang des Festes den Xiangshan Park zu besuchen, da einige der roten Blätter in spé ihre Metamorphose noch nicht vollständig abgeschlossen haben. Ein Besuch im Xiangshan-Park lässt sich aufgrund der kurzen Distanz sehr gut mit einem Ausflug in den Sommerpalast oder den sehr eindrucksvollen Botanischen Garten mit dem sehenswerten Tempel des schlafenden Buddhas verbinden. Bei dieser Gelegenheit können Sie dann auch gleich die 560 Meter zum Gipfel des Xiangshan- zu Fuß oder per Seilbahn - erklimmen, die herrliche Aussicht über Peking genießen und schon mal Ihre nächsten Ausflugsmöglichkeiten in der Hauptstadt aus der Vogelperspektive erkunden.